piwik no script img

London am Tag nach der Bombe

Die IRA hat sich zur der Bombe auf den Londoner Bus bekannt. Wahrscheinlich sollte der Sprengsatz gar nicht explodieren. Die unionistischen Politiker reagieren mit harscher Kritik  ■ Aus London Dominic Johnson

Es gibt nur wenige Momente der Stille in London. Einer ist am frühen Sonntagmorgen, ein anderer in den Stunden nach einem Bombenanschlag. Sonntag gibt es einmal die Woche. Bomben derzeit öfter.

Die Explosion, die am späten Sonntagabend mitten im Vergnügungsviertel einen roten Doppeldeckerbus zerriß, war bereits der dritte Anschlag in der britischen Hauptstadt seit der Aufkündigung des IRA-Waffenstillstands zehn Tage vorher. Am vorletzten Freitag hatte eine Autobombe im Geschäftsviertel Dockland zwei Menschen getötet. Am vergangenen Donnerstag entschärfte die Polizei rechtzeitig einen Sprengsatz, der in der Innenstadt in einer Telefonzelle deponiert war. Die dritte Bombe explodierte nur wenige hundert Meter vom Fundort der zweiten entfernt, in der Wellington Street, in unmittelbarer Nähe mehrerer Theater und Konzertsäle, wo sich normalerweise zahlreiche Theaterbesucher auf der Straße aufhalten. Ein Fahrgast des explodierten Busses ist tot, die anderen acht sowie der Fahrer sind mehr oder weniger verletzt.

Ein Obdachloser, der direkt am Anschlagsort auf der Straße lebt, berichtete gegenüber Zeitungen von einem „wie zu Kartoffelchips verbrannten“ Mann im Bus, dessen Reisetasche völlig zerfetzt gewesen sei – möglicherweise der Attentäter. Bisher allerdings gehörten Selbstmordkommandos nicht zum Repertoire der IRA, und so wird vermutet, der Sprengstoff habe eigentlich nur transportiert werden sollen und sei versehentlich im Bus der Linie 171 explodiert. Der Bekenneranruf der IRA bei der BBC läßt diese Möglichkeit offen: „Eine von unseren Geräten“ sei die Bombe gewesen, sagte der Anrufer und weiter: „Wir können zum gegenwärtigen Zeitpunkt sagen, daß wir den Verlust eines Menschenlebens und die Verletzungen bedauern.“

Die Reaktionen auf den neuen Bombenanschlag sind harsch. „Die IRA hat keine Tauben oder Falken mehr“, so Ken Maginnis von der Protestantischen Nordirischen Ulster Unionist Party, sie sei „nur noch eine skrupellose Mordmaschine“. Und der Vorsitzende der Democratic Unionist Party, Ian Paisley, sagte, mit Mördern könne es keine Verhandlungen geben. In irischen Regierungskreisen wird befürchtet, eine neue radikale Fraktion habe in der IRA die Oberhand gewonnen und gemäßigtere verdrängt. Noch am Tag des Anschlags hatte Gerry Adams, Führer der IRA-liierten Sinn Féin, dem britischen Premierminister John Major öffentlich die „Hand der Freundschaft“ angeboten.

Der Explosionsort blieb gestern weiträumig abgesperrt. Die Bürohäuser ringsum waren leer. Zum Pressetermin präsentiert die Polizei das ausgebrannte Wrack des Busses wie eine Kriegstrophäe. „Wie Sie sehen, grenzt es an ein Wunder, daß überhaupt jemand überlebt hat“, sagt ein Beamter. Die Wucht der Explosion hob das Oberdeck in die Luft und ließ es auf den Rest des Fahrzeuges zurückprallen. Vom Fahrerhaus liegen nur noch die verkohlten Trümmer auf der Straße herum. „Eine gespenstische Stille hängt über diesem Teil Zentrallondons“, übt ein Fernsehsprecher immer wieder seinen Leadsatz in sein Mikrophon, während ein japanischer Kameramann seine Tasche stehen läßt und fast einen neuen Bombenalarm auslöst.

Draußen vor der Absperrung staunen Touristen, Pendler fragen nach dem kürzesten Umweg. „Eine gespenstische Stille“, wiederholt der Fernsehsprecher und versucht verzweifelt, besorgt auszusehen. „Eine gespenstische Stische... Scheiße...“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen