: Castor – volle Kraft voraus
■ Transport nach Ungarn überrollt Runden Tisch
Der Atommüll rollt – nach Ungarn. Und der erste Verletzte ist schon zu beklagen. Kurz hinter dem Werkstor der Energiewerke Nord in Greifswald kam trotz oder gerade wegen des massiven Polizeieinsatzes ein Kind der ostdeutschen Demokratiebewegung unter die Räder. Der zarte Sproß der Revolution von 1989 war erst vor wenigen Wochen geboren worden. Sein Name: Beirat für Kernenergiefragen des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Unter Schmerzen hatten Atomkraftgegner und die Betreiber des AKWs Greifswald sich auf den Beirat geeinigt. Als eine Art Runder Tisch sollte er die Probleme der Stillegung der Atomanlagen an der Ostsee bewältigen. Im Beirat hat Greenpeace-Wissenschaftler Helmut Hirsch genauso Sitz und Stimme wie der Betriebsratsvorsitzende des AKWs, Jürgen Ramthun, und der örtliche CDU-Bundestagsabgeordnete Ulrich Adam.
Das Gremium wirkte zunächst erfrischend. Politiker, Kritiker und Betroffene wollten und sollten gemeinsam nach tragfähigen Lösungen für das stillliegende AKW Greifswald-Lubmin suchen. Zwar hatte der Stopp der Atomstromproduktion die Gefahr eines GAU an der Ostsee gebannt, doch gleichzeitig waren auch 4.500 der einst 6.000 Arbeitsplätze in der strukturschwachen Region verlorengegangen. Und abgerissen werden muß der strahlende Koloß an der Ostsee auch noch.
Probleme genug also. Doch in Greifswald schienen die Chancen günstig, eine neue Art der gesellschaftlichen Diskussion über die Langzeitprobleme der Atomenergie auf die Reihe zu bekommen. Die Atomkraftgegner waren zur Diskussion bereit.
Gerade dies scheint der Atomlobby in Bonn zu mißfallen: keine Demokratie in Atomkraftfragen. Die für Freitag angekündigte Sondersitzung des Beirats zum Ungarn-Transport ließ vor allem die Bonner Atomministerin und CDU-Landesvorsitzende im Norden, Angela Merkel, schnauben: Der Beirat habe beim Transport gar nix zu sagen.
Fünf Wochen ist das Gremium jetzt alt, und schon versucht man es zu meucheln. Merkel wußte: Den Atomtransport vor der Sondersitzung des Gremiums am Freitag loszuschicken führt die Demokratisierungsarbeit ad absurdum. Atomministerin Merkel, im Demokratischen Aufbruch großgeworden, hat denselben gestern überrollt. Hermann-Josef Tenhagen
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