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Vampire schnacken platt

■ Das Plattdeutsche Ensemble findet neue Wege zum niederdeutschen Volkstheater/ Das nächste Projekt: Dracula auf Platt

ck biet di.“ – „Ick suck di ut.“ – „Ick heff Jipper op Bloot.“ - Verblüffung und durchaus freiwillige Komik sind eingeplant, wenn die plattdeutschen Dialoge mit dem hochdramatischen Gehabe des blutlüsternen Vampirs aufeinandertreffen. Doch warum eigentlich soll Graf Dracula nur hochdeutsch sprechen. Schließlich liegt Transsilvanien nicht in der dialektneutralen Region von Hannover. Wenn der Ober-Vampir jedenfalls im Herbst tatsächlich in Bremen die Bühne betritt und mit „Draculas armer Vetter“ zur Aufführung kommen sollte, dann schnackt he platt.

Im Plattdeutschen Ensemble Bremen (PEB) sucht man seit der Gründung vor drei Jahren nach Wegen, um aus der inhaltliche Sackgasse des mundartlichen Volkstheaters herauszufinden. Erste Erfolge stellten sich mit der Inszenierung „Marie Christine“ ein, die es nun auch zu einer Fernsehausstrahlung bei Sat3 brachte. Nach dem erfolgreichen Solo-Abend „Spätlese“ von Frank Grupe geht man jetzt einen Schritt weiter. „Draculas armer Vetter“ versucht einen spannungsvollen Spagat: In der bremischen Variante der „Rocky- Horror-Show“ bekommt ein moderner Inhalt ein niederdeutsches Gewand.

Darauf genau setzt Werner Michaelsen vom PEB. Der alte Hase in der niederdeutschen Theaterlandschaft hat lange Durststrecken des dialektbehafteten Volkstheaters durchgestanden, 27 Jahre am Ernst-Waldau-Theater alles wirklich alles „auch das Weihnachtsmärchen“ gespielt und außerdem mittlerweile 110 eigene Inszenierungen auf die Bühne gebracht. Jetzt aber sieht er einen Silberstreif am Horizont. Es kommt Bewegung in die Szene, ein Trend zeichnet sich ab. Zwar kämpft das niederdeutsche Theater noch immer mit den selbstgemachten Vorurteilen über Stücke aus den 50er Jahren, die ausschließlich den schenkelklopfenden Humor bedienen wollen. Doch jenseits der Generation der älteren Theaterabonnenten ist ein neues Publikum aufgetaucht.

„Ein Erfolg wie der von Detlev Buck, zieht eine enorme Bugwelle nach sich, das hat uns sehr ermutigt.“ sagt der Plattdeutschspezialist Michaelsen. In den norddeutschen Kinos und bald darauf in der ganzen Republik hat das ganz normale Filmpublikum dem Heimat-Filmer Detlev Buck mit seinen plattdeutschen Typen und drögen Witzen in den letzten Jahren zum Shooting-Star unter den Jungfilmern gemacht. Und 12- bis 18jährige Teenager sind dafür verantwortlich, daß „Fettes Brot“, die Hamburger HipHopper, mit ihrer plattgereimten Rapnummer „Nordisch By Nature“ auf Platz 17 der Single-Charts landeten – dem Plattdeutschen wird der Mief ausgetrieben.

Mittlerweile ist man sogar schon jenseits der Weser auf die niederdeutschen aufmerksam geworden. Der Kulturkanal 3Sat startete am 28. Januar seine neue Sendereihe zum europäischen Theater in der Pilotsendung mit „Marie Christine“, Werner Michaelsens Inszenierung über die Bremer Schriftstellerin und ihre Verwicklung in die Unruhen um 1848. Fast zwei Stunden Plattdeutsch, europaweit.

Marie Christine ist ein Glücksfall für das Niederdeutsche Theater – und das Theater überhaupt. Denn mit diesem Stück endet endlich die leidige Unterscheidung zwischen der hochdeutschen Bühnenkunst, die automatisch mit den Maßstäben der Bundesliga gemessen wird, und dem für gewöhnlich in der B-Kategorie beheimateten mundsprachlich Volkstheater. Ingo Sax schrieb mit „Marie Christine“ ein plattdeutsches Stück, das neue Themen für das niederdeutsche Theater entdeckt. Die Titelfigur, eine aufregende Gestalt aus der Bremer Geschichte, ist eine Schiftstellerin, die es Mitte des letzten Jahrhundert nicht nur wagte, mit einer Frau zusammenzuleben, sondern die im Laufe der Unruhen um das Jahr 1848 ihr soziales Gewissen entdeckt und bereit war, dafür einzustehen. Hier erscheint ein Bremen jenseits der alten Schwänke aus dem Boulevardtheater. Auf der Bühne geht es um mehr als den im Kleiderschrank versteckten Liebhaber. Und wenn jemand versteckt wird, dann ist es der Pastor Dulon, der von der Polizei gesucht wird, weil er mit seinen freiheitlichen Reden den Senat bloßgestellt hat und der in die Ostertorwache geworfen werden soll.

Michaelsens bejubelte Inszenierung vermeidet alle die Fehler, die für die niederdeutsche Bühne so typisch sind. „Meist wird doch auf der Bühne so breit und zerdehnt gesprochen, daß es mit der Realität schon nichts mehr zutun hat. Diese ewige ,Deern', ich kann es schon nicht mehr hören“, sagt der Regisseur Michaelsen und macht es anders. In schnellem Tempo, fast „wie im richtigen Leben“ werden die Dialog in „Marie Christine“ gesprochen. Der Effekt: Man lauscht gespannt, um ja nichts von der Handlung zu verpassen.

Nun steht der Aufbruch zu neuen Ufern bevor. Mit „Draculas armer Vetter“ will man die alte Gruselherrlichkeit durch das Niederdeutsche ironisch brechen. Das Plattdeutsche Ensemble steht in den Startlöchern und scharrt mit den Hufen.

Doch für den Regisseur gründet sich der humorvolle Zugriff auf die Mundart auf bremische Erfahrung: “Das war der absolute Lacher, als man im Cinema Anfang der 70er Jahre auf den Gedanken verfiel, den damals revolutionären Porno „Deep Throat“ mit plattdeutschen Untertiteln laufen zu lassen.“ Thomas Settje vom Programmkino Cinema erinnert sich noch an dieses Ereignis der Filmkunst: „Das war Kult und hat uns damals über die finanzielle Krise geholfen. Die ganze Stadt wollte die niederdeutsche Version sehen. Wir haben den Streifen eineinhalb Jahre Lang jeden Abend um 23 Uhr gespielt.“ Susanne Raubold

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