: Poesie des Maschendrahts
■ Leere Container voll Erfahrungen: Eine Ausstellung mit Fotos und Skulpturen der katalanischen Bildhauerin Susana Solano im Neuen Berliner Kunstverein
Kästen, Verhaue oder Gehege sind auf Wand und Boden im Ausstellungsraum nach einer festgelegten Choreographie verteilt. Sie bewirkt die merkwürdige, schwer beschreibbare, doch gänzlich unaufdringliche Atmosphäre. Mit Objekten, die leere Behälter sind, die nichts repräsentieren und die doch ein Geheimnis in sich tragen, ein bezwingendes Eigenleben führen, das sich erspüren läßt, aber begrifflich kaum dingfest zu machen ist.
Schon in den sechziger und siebziger Jahren entstand mit Pablo Gargallo und Juko González in Katalonien eine fruchtbare Tradition der Metallbildhauerei. Heute wird sie – neben Sergi Aguilar, Augusti Roque oder Jaume Plensa – von der 1946 in Barcelona geborenen Susana Solano erfolgreich fortgeführt.
Nach einer Einzelausstellung im Städtischen Museum Abteiberg in Mönchengladbach 1988 ist sie nun erstmals in Berlin präsent. Ihre der Minimal Art entfernt verwandten Werke sind ungewöhnlich, weil sie auf einer vertrauten, aber gleichsam anonymen Formensprache basieren, die höchst subjektiv eingesetzt wird und von autobiographischen Erfahrungen imprägniert scheint; sie sind – mit den Worten der Kritikerin Teresa Blanch – „authentische Depots von Lebenserfahrungen“.
Ausgangspunkt bilden Material und Formen, die man mit der industriellen Produktion verbindet – kühles, hartes Metall (zusätzlich manchmal Holz oder Glas), Containern oder Vitrinen ähnliche Kuben, die nichts enthalten, die teils offen und für Blicke transparent sind und nur bisweilen durch Maschendraht begrenzt werden, der einen direkten Zugriff verhindert. Manche Titel verweisen paradoxerweise auf Natur („Auf der Suche nach einer Landschaft“, „Auf dem Weg, der zu den Wolken aufsteigt“), obwohl man gerade diese am wenigsten assoziieren würde.
Es ist diese Abwesenheit von Natur und Menschen, die den Arbeiten etwas Eigentümliches, fast Unheimliches verleiht. Und doch wachsen den Objekten, deren Funktionalität nur eine scheinbare ist, durch die Anordnung, die Verknüpfung und die kleinen Eingriffe der Künstlerin – wie das Verbiegen des Maschendrahts zu einem wellenförmigen Gittervorhang – poetische Qualitäten zu. Obgleich Solano ihr Werk schon lange fotografisch vorbereitet und begleitet, hat sie erst in jüngster Zeit dieses Medium ihrer skulpturalen Arbeit ebenbürtig zur Seite gestellt. Auch ihre Fotoarbeiten, in Schwarzweiß und zu seriellen Tableaus zusammengefügt, charakterisieren präzise Auswahl und Anordnung der Motive, die nun auch Mensch und Tier umfassen.
Existenzielle Probleme werden nicht erzählerisch nachgestellt, sondern durch die Zusammenfügung verschiedener Fotos entweder konstrastierend oder als fast filmische Abfolge angedeutet. „Memoria“ verknüpft den Verlust des individuellen Gedächtnisses mit der in der Denkmalkunst konservierten (versteinerten?) historischen und kollektiven Erinnerung. „Homo homini lupus“ reflektiert mit dem (grausamen?) Spiel von (Wolfs-)Hund und Puppe und dessen Wiederholbarkeit die vermeintlich unumstößlichen und daher scheinbar naturhaften Bedingungen menschlichen Handelns. Susanna Solanos Arbeiten halten diesen Bedingungen das Spiel der Kunst entgegen. Michael Nungesser
Bis 10.3. Di.–Fr., 12–18 Uhr, Sa. und So. 12–16 Uhr. Neuer Berliner Kunstverein, Chausseestraße 128/129, Mitte. Katalog 28 DM
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