: „Die haben uns das Geld geklaut“
■ Die Schiffsbauer der MTW-Werft in Wismar sind sauer auf den Mutterkonzern. Doch die Angst vor dem Aus schieben sie lieber weg
Gerlind Vollert steht in einem klokabinengroßen Stahlgehäuse. Aus dem Schweißgerät in ihrer rechten Hand sticht ein hellblauer Feuerstrahl, während sie mit der linken eine zerbeulte Augenschutzmaske hält. Seit 16 Jahren schon arbeitet sie hier bei der MTW-Schiffswerft in Wismar. „Die vom Vulkan haben uns das Geld geklaut, das uns zusteht“, sagt sie mit ruhiger Stimme und fügt dann beschwichtigend hinzu: „Geklaut ist vielleicht ein etwas zu harter Ausdruck. Aber zurück kriegen wir das bestimmt nicht.“
Davon ist auch ihr junger Kollege überzeugt, der ein paar Meter weiter mit einem riesigen Hammer auf eine rötliche Metallwand einschlägt. „Mißstimmung“ herrsche in dem Betrieb, meint er grinsend und mit einer weit ausholenden Armbewegung. „Wenn die Jobs bald alle weg sind, ja, dann kann man auch nichts machen. Aber schlimm wäre das, vor allem für Wismar.“ Der Schiffsbauer mit dem Ohrring redet, als ob er nichts mit alledem zu tun hätte. Dann wendet er sich wieder der meterbreiten Platte zu. In ein paar Monaten soll sie – eingebaut in die beim Bremer Vulkan bestellte Costa Victoria – über die Weltmeere reisen.
Die Auftragsbücher in Wismar sind voll. 18 Schiffe sind bis 1998 bestellt, 1,5 Milliarden Mark will die ostdeutsche Werft damit einnehmen. Noch muß die Treuhand- Nachfolgegesellschaft allerdings finanziell nachhelfen, damit die Tanker, Container- und Passagierschiffe kein Minusgeschäft werden. „Aber wenn in drei Jahren die Modernisierung abgeschlossen und die Produktivität gesteigert ist, dann können wir wirtschaftlich arbeiten“, ist Werftsprecher Diethelm Tabel überzeugt. Etwa 500 Millionen Mark Umsatz hat der 2000-Leute-Betrieb im letzten Jahr gemacht.
Doch erst einmal sind die Gelder für die Investitionen offenbar futsch, verschwunden im gemeinsamen Topf des Vulkan-Konzerns. Im August erst bemerkte die Geschäftsführung in Wismar, daß irgend etwas faul sein mußte: Die zugesagten Treuhandgelder wurden vom Mutterkonzern nicht mehr überwiesen. Im Januar weigerte sich dann die MTW, ihre Einnahmen abzutreten, und zahlte lieber davon Rechnungen und Löhne selbst. Geschäftsführer Oswald Müller formuliert mit gelassener Stimme seinen Protest in die Mikrofone: „Die Belegschaft ist ungehalten darüber, daß nicht aufgeklärt ist, wo das Geld geblieben ist. Unzufriedenheit gibt es auch bei der Geschäftsleitung.“ Aber man solle die Unruhe nicht anheizen. Auf keinen Fall dürfe man den Betrieb besetzen. „Fleißig weiterarbeiten!“ sei die Parole. Die Landesregierung in Schwerin habe schließlich eine Bürgschaft übernommen, so daß die Banken der MTW erst einmal Kredit gewährt haben: „Damit können wir weiterarbeiten.“ Ein paar Straßenzüge oberhalb der Werft liegt die alte MTW-Betriebsschule. In gammeligen Glaskästen sind Miniaturen von Schiffen ausgestellt, die einst in Wismar vom Stapel liefen; am Heck der Ernst-Thälmann prangt noch die DDR-Fahne. Heute kommen Auszubildende in Metallberufen aus der ganzen Gegend hierher. Aber noch immer stellt die Werft die meisten Schüler. Gruppen junger Männer nutzen die Pause für eine Zigarette oder einen Schwatz. „Die Facharbeiter bei uns machen sich tatsächlich einen Kopf um ihre Jobs“, beschreibt Daniel Lange seine Sicht der Dinge. Er selbst aber wirkt sehr gelassen. Im dritten Jahr lernt der 19jährige Konstruktionsmechaniker. Viele Alternativen zur MTW hat er in dieser Gegend nicht. Dennoch ist er überzeugt: „Die MTW muß uns einen neuen Job besorgen, wenn sie uns raussetzen.“ Angst – nein, Angst hat er keine.
Der Leiter der Schulnebenstelle, Andreas Trappe, aber ist überzeugt: „Tief im Innern haben die Menschen hier alle Angst um die Zukunft der Werft.“ Schon heute hat jeder fünfte in Wismar keine Arbeit. Und die MTW ist bei weitem der größte Arbeitgeber in der Stadt. „Allein schon der Gedanke an einen Zusammenbruch ist bedrückend: Fast alle meine Freunde und Verwandte leben irgendwie davon“, sagt der gelernte Maschinenbauer, der selbst früher bei der MTW auf der Lohnrolle stand. „Da schieben wir die Angst lieber weg.“ Annette Jensen, Wismar
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen