■ Schnittstelle: Jon Alpert beim Videofest
Vier Crackheads sitzen in ihrer Wohnstube und warten auf weiße Kristalle. Fünf für 40 Dollar. Boo Boo hat sie ein paar Minuten zuvor gekauft. Brenda kichert zahnlos und taumelt zum Anschaffen auf die Straße; ein stämmiger Boxer erzählt vom Kampf gegen Sugar Ray Leonhard, bevor ihm die Stimme wegdriftet. Und Boo Boo, ein Schrank mit Baseballkappe, geht Trimmgeräte klauen, die er für neues Crack versetzt.
Monoton bewegt sich Alperts Report zur Drogenszene in Lowell, Massachussetts, zwischen Highsein, Beschaffungskriminalität und Folgeerscheinungen. Brenda wird schwanger, versucht erst den Entzug, dann die Abtreibung und ist schließlich verschwunden. Boo Boos Aidstest fällt derweil positiv aus. Für einen Augenblick zittern ihm die Knie, später genügt Crack, um auch das Sterben zu vergessen. Je länger man dem verzweifelten Leben all dieser Leute zusieht, desto unheimlicher wirkt die stete Anwesenheit der Kamera.
Alpert hat sich an solche Extremsituationen gewöhnt. Vor drei Jahren war er mit dem Camcorder auf Kuba, um Castro zu filmen und mit Flüchtlingen zu sprechen. Letzte Berlinale zeigte das Panorama eine Knastreportage aus Rykers Island, wo 17.000 Gefangene einsitzen. Das alles filmt Alpert immer mit Sympathie und aus Interesse. Manchmal auch mit Erfolg: Während der Drehs zu „Snakeheads“, einem Film über illegale Chinesen in New York, verschaffte die Polizei 16 untergetauchten Menschen richtige Wohnungen. Wie Alpert es dagegen schafft, mit Bonzen in China über deren Menschenhandel mit US-Unternehmen zu reden, gehört zu den Wundern des Journalismus. Harald Fricke
Videofest im Podewil: Investigation: Jon Alpert, heute und am 24.2. um 20.30 Uhr
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