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Alte Kader und neuer Erfolg

Mit Stefan Kretzschmar blüht dem Osten Spitzenhandball: Politische Doppelpässe zwischen einst und heute treiben den SC Magdeburg voran  ■ Von Jens Weinreich

Magdeburg (taz) – Von Stefan Kretzschmar hatten sie das nicht anders erwartet. Zur feierlichen Vertragsunterzeichnung vor ein paar Tagen im Ruderbootshaus an der Elbe ließ sich Deutschlands „Handballer des Jahres“ seinen Kinnbart einfärben: rot-grün, in den Vereinsfarben des SC Magdeburg.

Ein Dreijahresvertrag setzt Zeichen. Kretzschmars künftige Mitstreiter lassen sich vom bevorstehenden Wechsel der Handball- Ikone schon jetzt beflügeln: Fünf Spiele in Folge hat der SCM gewonnen, darunter im DHB-Pokal gegen den Meister THW Kiel. Im Halbfinale trifft man Ende April auf Wallau-Massenheim. Und in der Bundesliga wird zwar viel geredet über Rheinhausen, Lemgo und Flensburg – doch klammheimlich schob sich Magdeburg auf Platz sieben (22:16 Punkte), zwei Minuspunkte nur hinter dem Noch-Spitzenreiter aus Kiel (26:14). Diesen Sonntag soll sich entscheiden, ob den Anhaltinern sogar noch ein Angriff auf den Titel gelingt: Ausgerechnet beim Erzrivalen VfL Gummersbach, dem man gerade den populärsten deutschen Handballer abgejagt hat.

In Duellen mit dem VfL Gummersbach wurde ein Teil des Magdeburger Handballruhms begründet. Dreimal lieferten sich die Vereine kochend heiße deutsch-deutsche Europacup-Duelle. Einmal gewann der SCM, zweimal lag Gummersbach vorn. Knapp war es immer, ein Tor entschied auch das letzte brisante Duell der Dinosaurier des deutschen Handballs: 1991 feierte Gummersbach gegen Magdeburg die erste gesamtdeutsche Meisterschaft. Der Kretzschmar- Transfer – die späte Rache am VfL.

Der Linksaußen weckt neue Hoffnungen beim zehnfachen Meister der DDR. Während die anderen ostdeutschen Europacupsieger Leipzig, Frankfurt (Regionalliga) und Rostock (Bundesliga zwei) ihre besten Spieler verloren und im Niemandsland verschwanden, wurden Tradition und Aufbruch an der Elbe auf wundersame Weise verknüpft.

Was heißt wundersam? Magdeburg hat mit Bernd-Uwe Hildebrandt den raffiniertesten Manager, den der ostdeutsche Sport in den Wendewirren hervorgebracht hat. Seinen ehemaligen Spieler Laisvidas Jankevicius hat er einst in Litauen von der Mafia freigekauft. Während andere Funktionäre noch den alten Zeiten nachtrauerten, hatte sich Hildebrandt (37) schon für den gepflegten Doppelpaß mit den neuen Machthabern entschieden – ein Spielchen, zu dem ein gehöriges Maß an Opportunismus vonnöten ist. Seine Führungsmannschaft füllte Hildebrandt vorwiegend mit alten Kadern auf, zum Präsidenten des Vereins wurde beizeiten Sachsen-Anhalts Arbeitsminister Werner Schreiber (CDU) gewählt.

Als diesen die Sorge um sein Privatkonto und die daraus resultierende Gehälteraffäre aus dem Ministeramt beförderte, blieb er trotzdem SCM-Präsident. Und als später SPD-Mann Reinhard Höppner zum Ministerpräsidenten gekürt wurde, hatte Hildebrandt vom neuen Landesvater längst das Versprechen empfangen, den Sport, wie vordem sein politischer Gegner, zu unterstützen. Heute genießt Schreiber im VIP-Raum der Hermann-Gieseler-Halle weiterhin sein Bier, Höppner schaut selten vorbei.

Der Herrscher in Magdeburg aber ist Hildebrandt. Gehaßt und geliebt wird der Mann, dem der Sprung vom FDJ-Sekretär des Sportklubs zum Leiter des Olympiastützpunkts Halle/Magdeburg und zum SCM-Manager gelang. Nebenbei mischt Hildebrandt mit im Liga-Ausschuß der Handballer und sitzt, wie er stolz verkündet, in einigen Aufsichtsräten Magdeburger Unternehmen. Während andere Traditionsvereine wie Gummersbach oder Großwallstadt unter einer Schuldenlast ächzen, ist der Etat des einzigen ostdeutschen Bundesligisten permanent gesichert. Mit fast drei Millionen Mark soll sich Magdeburg gar der vom THW Kiel gehaltenen Bundesligaspitze (3,7 Millionen) nähern. Der „Club der 100“ umfaßt schon 130 Sponsoren. SCM-Ausrüster Nike hat auch den größten Transfer im deutschen Handball forciert. Einzig Stefan Kretzschmar (23) hat über die beschauliche Handballszene nationalen Wiedererkennungswert, einzig Kretzschmar taugt zum Star. Also: Soll der Berliner im Nike-Look den ostdeutschen Kids das Taschengeld entlocken.

Was dem SC Magdeburg momentan fehlt, ist einzig der sportliche Erfolg. Zwei eingeborene Trainer, Hartmut Krüger und Ingolf Wiegert, wurden bereits geschaßt, deren Nachfolger Lothar Doering hat unlängst um ein Jahr verlängert und soll nun das Wunder vollbringen und der Handballmetropole demnächst wieder einen Titel bescheren. Doering holte 1980 in Moskau mit der DDR- Auswahl – mit Wiegert und Krüger – den Olympiasieg, 1993 mit den DHB-Frauen den WM-Titel. Der von ihm geschickt eingefädelte Kretzschmar-Transfer rettete nach zwei herbstlichen Heimniederlagen vermutlich seinen Job auf der SCM-Bank.

In einer „stets ausverkauften Bördelandhalle“ feiern Kretzschmar und der SCM demnächst die Meisterschaft, orakelt das Lokalblatt Volksstimme. Die faßt 7.000 Leute, und dorthin will der SCM 1997 umziehen. Das weckt Sorgen, die Stimmung könnte leiden. Dafür werden die Einnahmen im Falle sportlichen Erfolgs weiter in die Höhe gehen. Stefan Kretzschmar, Nationalkeeper Henning Fritz, Auswahl-Spielmacher Vygandas Petkevicius, Rechtsaußen Holger Winselmann und der rumänische Torjäger Robert Licu – das Korsett des kommenden Meisters? Magdeburg habe gut Chancen, zum „FC Bayern München der Handball-Bundesliga“ zu werden, spekuliert selbst die FAZ.

Der Handel mit Vereinsdevotionalien ist zwar noch ausbaufähig, doch immerhin kann der Fan für zehn Mark schon eine goldene SCM-Krawattennadel und für 7,50 Mark das rot-grün eingekleidete Stofftier „Pinguin Ossi“ erwerben. Fürwahr eine erstaunliche Tendenz.

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