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Plädoyer für die Chaostheorie

■ 30 Geschichten: „Il cielo è sempre più blu – Der Himmel wird immer blauer“ von Antonello Grimaldi (Panorama)

Die Kamera fliegt nur kurz über das nächtliche Rom, dann taucht sie ein in die Straßen, ein Liebespaar im Auto, ein Restaurant wird überfallen, der Jubilar stirbt mit dem Gesicht in der Torte. Dann wird es Tag und das Kaleidoskop setzt sich nicht etwa zu einem überschaubaren Bild zusammen, sondern wird noch verwirrender: ein Berufskiller zieht seiner Wege, ein arbeitscheuer Mechaniker haut seine Kunden übers Ohr, der Postbote mit der Kinderhandschrift verteilt seine Briefe, die Politesse genießt das Strafzettelverteilen, der mit Diebesgut hehlende Polizist bleibt auf einem Müllplatz zurück, ein Junge erschlägt mit einem Hammer kurz und trocken seine Mutter, eine Frau betrügt ihren Mann, während der Fußball guckt. Und auf irgendeiner Bank sitzt höchstselbst die Italo-Horror-Regielegende Dario Argento und plaudert.

„Ungefähr 30 Geschichten“, erzählt Regisseur Antonello Grimaldi, spielen sich in „Il cielo e sempre piu blu“ parallel ab. Dutzende von Schauspielern und Schauspielerinnen essen Eis und Joghurt und Pizza, trinken viel Kaffee und auch mal einen Wein, schlafen miteinander und tun sich Gewalt an und manchmal sogar beides auf einmal, und reden, werfen die Arme dabei, und reden, reden, reden. Die schönsten Geschichtchen sind oft aber jene, in denen gar nicht geredet wird, so wie die von der Frau, die morgens aufwacht, ein Kind schreit im Nebenzimmer, sie dreht sich um, tastet, aber das Kissen neben ihr ist leer. Das war's, todtraurig. Anderes ist kreischend komisch wie die Episode, in der sich zwei Autofahrer streiten, wer denn nun den Hasen mit nach Hause nehmen darf, den sie gerade überfahren haben.

Dreißig Geschichten in knapp zwei Stunden, das macht nicht mal vier Minuten für jede. Manche sind nur Sekunden lang, andere deuten einen ganzen eigenen Film an. Manche Figuren tauchen wieder auf, andere entpuppen sich plötzlich und werden zu etwas, was man nicht erwartet hätte, wieder andere verschwinden so schnell, wie sie aufgetaucht sind, und noch mal andere erkennt man vielleicht einfach nicht wieder. Manche begegnen sich, manche tauschen einen Blick, bei anderen kreuzen sich nur die Wege. Es ist auch ein Spiel mit Möglichkeiten: Was würde passieren, hätte der Taxifahrer seinen unfreundlichen Fahrgast nicht stehen lassen? Würde eine der anderen Geschichten davon beeinflußt werden oder nicht? Im Gegensatz zu „Die Günstlinge des Mondes“, wo die verschiedenen Geschichten so miteinander verwoben waren, als sollte bewiesen werden, daß es eine göttliche Ordnung gebe, ist „Il cielo è sempre più blu“ eher ein Plädoyer für die Chaostheorie. Und vieles davon ist schlicht nicht sonderlich aufregend, einiges sogar langweilig, aber trotzdem hält es einen irgendwann fest wie der voyeuristische Blick ins Fenster auf die andere Straßenseite. Und wenn man nach zwei Stunden aus dem frühlingshaften Rom hinaus ins verregnete Berlin geschickt wird, ist das ziemlich gemein. Thomas Winkler

„Il cielo è sempre più blu – Der Himmel wird immer blauer“, Italien 1995, 110 Min, Regie: Antonello Grimaldi. Mit tierisch vielen Schauspielern.

Heute, um 23.30 im Filmpalast

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