: Verfassungsschutz ohne Kontrolle
■ Diepgen will Gesetz über Landesamt für Verfassungsschutz ändern, damit der PDS-Abgeordnete Over nicht in Verfassungsschutz-Ausschuß kommt. Bisher freiwillige Überprüfung soll obligatorisch werden
Der Verfassungsschutz kann weiter ungestört im Verborgenen arbeiten. Eine Kontrolle durch einen Ausschuß des Parlaments wird es vorerst nicht geben. Das hat das Landesamt für Verfassungsschutz ausgerechnet einem ihrer Gegner, dem Hausbesetzer, radikal-Leser und PDS-Abgeordneten Frederik Over, zu verdanken.
Der 28jährige sollte gestern zum stellvertretenden Vorsitzenden des Verfassungsschutz-Ausschusses gewählt werden. Doch nachdem der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) den Fraktionsvorsitzenden in einem Brief mitgeteilt hatte, daß er eine Änderung des Gesetzes über das Landesamt für Verfassungsschutz „für dringend erforderlich“ halte und dies derzeit prüfen lasse, wurde die konstituierende Sitzung auf Antrag der CDU verschoben.
Diepgen ist fest entschlossen, dem mißliebigen PDS-Abgeordneten den Weg in den Ausschuß zu versperren, weil dieser angekündigt hatte, die Arbeit des Ausschusses transparent zu machen. Diepgen läßt derzeit prüfen, ob die Mitglieder des Ausschusses, die bisher von den Fraktionen benannt werden, nicht mit Stimmenmehrheit vom Abgeordnetenhaus gewählt werden können. In Betracht käme eine Parlamentarische Kontrollkommission (PKK), wie sie es zwischen 1987 und 1989 gab. Weiterhin läßt Diepgen, politisch verantwortlich für den Verfassungsschutz, derzeit prüfen, ob die bisher freiwillige Sicherheitsüberprüfung der Ausschußmitglieder durch den Verfassungsschutz nicht obligatorisch gemacht werden könne. Dazu müßte die Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses geändert werden. Ob das rechtlich überhaupt möglich ist, ist unklar. Der Abgeordnete Over behindere „die vertrauensvolle Zusammenarbeit des Verfassungsschutzes und des Parlaments“, schrieb Diepgen dem Präsidenten des Abgeordnetenhauses in einem gestern bekanntgewordenen Brief. Darin bedauerte er, daß Overs Äußerung, der Senat befinde sich „am Rand der Planung einer kriminellen Vereinigung“, nicht strafrechtlich geahndet werden könne. Over hatte damit senatsinterne Bestrebungen kritisiert, entgegen der Berliner Linie besetzte Häuser zu räumen.
Renate Künast, die für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Ausschuß sitzt, kritisierte den CDU-Vorstoß als „Ungeheuerlichkeit“: „Es kann nicht sein“, schimpfte sie, „daß das Amt entscheidet, wer es kontrollieren kann.“ Sie lasse sich nicht zum „Steigbügelhalter des Verfassungsschutzes degradieren“. Die PDS befürchtet eine „Aushöhlung der ohnehin schon schwachen Kontrollmöglichkeiten des Ausschusses“. Barbara Bollwahn
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