: Die guten Menschen von Seattle
Da ist Licht am Ende der Straße! Gib den Walkabouts ein paar staubige Häuser und armselige Wohnwagen – schon machen sie einen Song draus. Mit Geigen. Und Rädern untendran. Den toten Briefkasten roadmovieesker Melancholie leerte ■ Thomas Winkler
In Seattle, wissen sie zu erzählen, sei wieder Ruhe eingekehrt. „Dankenswerterweise“, wie Chris Eckman meint, schließlich sei es in der Zeitrechnung nach Nirvana eine ganze Weile recht unerträglich in ihrer Heimatstadt geworden. Die Talentscouts der Plattenfirmen und Bands, die in der Hoffnung auf einen Plattenvertrag in den regnerischen Nordwesten der USA gezogen waren, rannten sich auf den Straßen gegenseitig über den Haufen.
„Die Bands sind zum Glück weitergezogen“, erzählt Eckman, „und der Hype hatte auch sein Gutes: Die Clubs sind jetzt besser, die Szene ist abwechslungsreicher, und das ist gut nach diesen ganzen dritt- und viertklassigen Grunge- Bands.“
So sind inzwischen komischerweise ausgerechnet die Walkabouts zum dauerhaftesten Faktor der lokalen Musikszene geworden. Seit mehr als zehn Jahren sind Chris Eckman und Carla Torgerson ein Paar, und fast ebenso lange hält sich die Musik ihrer Band an der Schnittstelle zwischen Folk und Rock auf. Die gelinde Spannung zwischen den beiden Polen Kitsch und Noise hat mit den Jahren ihren Sensationswert verloren – ohne daß das der Kleinfamilie etwas anhaben konnte.
Chris & Carla haben Zeit. Oder nehmen sich Zeit. Zum Autofahren beispielsweise. Mitten in der Einöde steht ein Straßenschild: Christmas Valley. Chris deutet auf das Schild, und Carla schreibt den Namen auf den Block, der immer über dem Handschuhfach liegt.
Ein paar Monate später ist „Christmas Valley“ dann ein Song auf „Devil's Road“. „An manchen Orten fährt man einfach vorbei und sieht das Straßenschild. Aber in Christmas Valley haben wir eine Nacht verbracht“, erzählt Eckman, „in Wirklichkeit sind es ungefähr sechs stationäre Wohnwagen, sieben verrostete Autos, ein kleines Postamt, und das war's.“
Auf zwei Dinge kann man sich bei den Walkabouts ganz bestimmt verlassen. Daß es all die Orte, die in ihren Songs auftauchen, auch wirklich gibt, und daß die von Eckman erfundenen Geschichten immer tragisch enden, ob sie sich nun in den Straßen von Jimtown, den Rattlesnake Hills oder auf dem Dead Horse Path abspielen. „Es ist schwierig zu analysieren, weshalb ich eher melancholische Songs mag. Mit zwanzig war ich ein großer Joy-Division-Fan. Deshalb habe ich mich noch lange nicht aufgehängt. Allein die Tatsache, daß viele in meinen Songs eine Straße entlanggehen, um woanders hinzukommen, zeigt Hoffnung und Optimismus.“
Während Chris und Carla durch die Landschaft fahren, werfen sie einen sehr europäischen Blick auf ihr eigenes Land. Einen Blick wie aus Touristenaugen, die hinter den staubigen Scheiben eines Mietwagens Trailer-Siedlungen, verlassene Motels und einsam in der Wildnis stehende Briefkästen bestaunen. Bilder, die einem seltsamerweise vertrauter sind als deutsche Landschaften.
Vielleicht ist das der Grund, warum die Band in der alten Welt soviel erfolgreicher ist als zu Hause. In Deutschland hatten die Walkabouts sich mit der letzten Platte „Setting The Woods On Fire“ unter die ersten zehn der Indie-Charts geschlichen, in Holland war man gar die Nummer eins. Und in Norwegen und Griechenland waren selbst die normalen Verkaufs-Charts kein Hindernis. „Setting...“ war aber schon die dritte Platte, die nur auf SupPop Europe erschienen war.
Seit 1993 mußten ihre Veröffentlichungen in die Vereinigten Staaten importiert werden und sind erst im letzten Jahr von einem kleinen Label in San Diego wiederveröffentlicht worden.
Der gerade vollzogene Schritt zur Major-Firma war fast unvermeidlich, „denn schließlich ist SubPop an Warner verkauft worden. Da haben wir uns gedacht, wenn wir schon bei einem Major landen sollen, dann suchen wir uns wenigstens einen, den wir mögen. Wir haben mit Warner gesprochen, und wir konnten sie nicht leiden.“ Angst, auch bei Virgin an der falschen Adresse zu sein, hat Eckman zwar weiterhin, aber „davor muß man immer Angst haben. Falls wir wirklich zu einem Charts-Phänomen werden sollten, werden wir nicht meckern.“
Wenn man will, kann man den Charts-Appeal der Band auf „Devil's Road“ hören, hat doch der eine der beiden Pole, der Noise, eindeutig den kürzeren gezogen. über die Jahre gesehen erscheint aber alles als folgerichtige Entwicklung. Auffälligste Neuerung sind die auf der Single „The Light Will Stay On“ und einigen anderen Songs eingesetzten Geigen, aber „wir hätten das schon vor fünf Jahren gemacht, wenn wir das Geld gehabt hätten“.
Der das Album beschließende „Forgiveness Song“, ein Duett zwischen Togerson und Eckman, das Steine zum Weinen bringen könnte, wirkt zwar wie der mögliche Endpunkt eines unvermeidlichen Versinkens im Kitsch, aber der Rest von „Devil's Road“ hat immer noch ausreichend Brechungen (manche vielleicht etwas zu versteckt), um sich nicht wiederspruchslos in die vorherrschenden Radioformate einzufügen. Schließlich hat Togerson lange genug Texte ihres Mannes gesungen, um fest daran zu glauben, daß das Licht am Ende des Tunnels niemals ausgeht. „Meine absolute Lieblingszeile von der neuen Platte ist ,It's easy to fall, ain't easy to land‘. Wenn du dich aufgibst, mußt du mit den Folgen klarkommen.“
Fehlt jetzt nur noch, daß sie seine Hand nimmt und sie fest und bestimmt drückt. – Die kleinste Keimzelle der Gesellschaft befindet sich auf einem langsamen, aber stetigen Marsch durch die Institutionen. Sie werden ankommen. Und wenn nicht, geht die Welt nicht unter.
Auch die von Chris und Carla nicht.
The Walkabouts: „Devil's Road“ (Virgin)
Tour: 26.2. München, 7.3. Berlin, 8.3. Bielefeld, 9.3. Hannover, 10.3. Hamburg, 12.3. Bochum, 13.3. Nürnberg, 14.3. Schorndorf, 15.3. Freiburg
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