■ Ökolumne: Kläger gesucht Von K.-P. Klingelschmitt
Unternehmen in Deutschland werden nicht nur von Umwelt- und Naturschutzverbänden und von den Medien mit Argusaugen beobachtet. Die gesamte Wirtschaft, schreiben Kommunikationsforscher etwa der Deutschen Shell AG ins Stammbuch, werde auch von der Bevölkerung „zunehmend mißtrauisch betrachtet und als eine Macht jenseits einer gesellschaftlichen Kontrolle empfunden“. Die Menschen fühlten sich den Entscheidungsträgern in den Chefetagen der Konzerne „ausgeliefert“. Und dem „einfachen Mann auf der Straße“ würden die Herren in den feinen Anzügen im Gegenzug als „unantastbar“ erscheinen.
Daß es Greenpeace im Konflikt um die Entsorgung der „Brent Spar“ gelungen ist, diese Entscheidungsträger in die Knie zu zwingen, hat das Vertrauen der Bevölkerung in die Führungsqualitäten von Konzernvorständen weiter unterminiert, schlußfolgern die Kommunikationswissenschaftler. Dabei gehört die Mineralölindustrie wie auch die chemische Industrie ohnehin zu den Branchen, denen rücksichtslose Profitgier auf Kosten der Gesundheit der Bevölkerung und der Umwelt unterstellt wird. „Ich glaube Ihnen kein Wort mehr“, sagte etwa eine Mutter aus Schwanheim den Hoechst- Chefs im Januar. Die Herren schwiegen betreten – und die BürgerInnen klatschten stehend Beifall. Das Vertrauen in die unternehmerischen Fähigkeiten der Hoechst-Manager tendiert in Schwanheim, Griesheim und Goldstein jedenfalls gegen Null.
Alles „Nieten in Nadelstreifen“. Das sehen sicher auch die MitarbeiterInnen von Vulkan, von Grundig Dasa oder AEG so – um nur drei Beispiele für die in Serie produzierten Desaster von Vorstandsmitgliedern und Aufsichtsräten zu benennen, die Zehntausende Menschen in ihrer Existenz bedrohen.
Die Politik ist schon vor Jahren in die Glaubwürdigkeitskrise gestolpert – die Wirtschaft folgt ihr heute auf dem Fuße. Deutschland 1996: ein Land ohne glaubwürdige (Führungs-)Eliten. Doch während PolitikerInnen vom politikverdrossenen Volk wenigstens abgestraft werden können und auch mal ihren Hut nehmen müssen, bleiben die millionenschweren Bruchpiloten der freien Wirtschaft unangetastet. Wie viele Vorstandsmitglieder von Shell sind nach den Katastrophen in der Nordsee und in Nigeria entlassen worden? Was machen eigentlich die für Umweltschutz und Öffentlichkeitsarbeit zuständigen Vorstandsmitglieder der Hoechst AG heute? Und wer wird in den Vorstandsetagen von Vulkan, Grundig oder AEG für die Massenentlassungen und für das Verschleudern von öffentlichen Geldern zur Rechenschaft gezogen?
Wo noch keine Kläger sind, sind keine Richter. Aber nicht mehr lange. Ein Aktionär der Daimler- Benz AG hat jetzt erstmals Strafanzeige gegen den amtierenden und gegen den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden des Konzerns und gegen den Vorsitzenden des Aufsichtrates, Hilmar Kopper (Deutsche Bank), erstattet. Edzard Reuter, Jürgen Schrempp und Hilmar Kopper hätten die Aktionäre auf der letzten Hauptversammlung belogen, was verboten sei. Auch beim Bremer Vulkan hat sich ein Kläger gefunden. Strafanzeige gegen den Ex-Vorstandsvorsitzenden Hennemann wegen des Verdachts auf Verstoß gegen das Aktiengesetz. Strafanzeige gegen den amtierenden Vorstand von Vulkan wegen Konkursverschleppung.
Wer unten Fehlleistungen in Serie produziert, wird gefeuert. Wer oben Bockmist in Serie baut, muß vielleicht – mit einer satten Abfindung in der Tasche, von der andere Leute zehn Jahre lang gut leben könnten – die Branche wechseln; oder er darf weiter seinen Sessel wärmen. Arbeiter der Faust und der Stirn! Zerrt sie alle vor den Richter, und greift ihnen in die Beutel! Gewerkschaften und (linke) Parteien! Gewährt den KlägerInnen ausreichend Rechtsschutz! Dann wird sich vielleicht in Zukunft kein Hennemann heute mehr hinstellen und ungestraft sagen dürfen, daß er schon 1986 einen konkursreifen Laden übernommen habe, obgleich er knapp zehn Jahre lang – wider besseres Wissen – den Aktionären und Mitarbeitern weiszumachen versuchte, daß der Vulkan ein gesundes, zukunftsträchtiges Unternehmen sei.
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