Zapfenstreich für die Wehrpflicht

■ Frankreichs Nein zur allgemeinen Wehrpflicht löst Diskussion in Deutschland aus. Bayerns SPD-Chefin Renate Schmidt für Abschaffung der Wehrpflicht. Bundeskanzler Helmut Kohl will „bewährtes Prinzip“ beibehalten

Bonn (taz) – Frankreichs Entscheidung, die allgemeine Wehrpflicht abzuschaffen, sorgt in Deutschland für Wirbel. Die bayerische SPD-Vorsitzende Renate Schmidt (SPD) sagte gestern der taz: „Ich halte ähnliches auch für Deutschland für eine ausgesprochen vernünftige, zeitgemäße Sache.“ Heute sei wirkliche „Wehrgerechtigkeit nur noch in Ansätzen gegeben“. Es gebe mehr Zivil- als Wehrdienstleistende. „Manche junge Männer brauchen gar nicht ,zu dienen‘, andere dagegen schon. Grad so, als wäre es ein Lotteriespiel“, so Schmidt. Außerdem sei eine Berufsarmee, anders als in der Weimarer Republik, nicht mehr in Gefahr, „ein Staat im Staate zu werden“ und deshalb „kein Risikofaktor für die Demokratie“.

Der Friedensforscher Ulrich Albrecht schreibt in einem Beitrag für die taz, daß die Entscheidung des französischen Staatspräsidenten Chirac Bundeskanzler Kohl zu einer „nicht gewünschten Debatte“ zwinge. In Bonn waren sich Opposition und Koalition gestern weitgehend einig, daß die Wehrpflicht erhalten bleiben soll. Helmut Kohl fand keinen Anlaß, in Deutschland „das bewährte Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht“ aufzugeben. Er erklärte, die Abschaffung der Wehrpflicht in Frankreich sei eine „innerfranzösische Entscheidung“. Ein Sprecher von Bundesverteidigungsminister Volker Rühe (CDU) stellte fest, die französische Entscheidung habe „keine Auswirkungen auf die Bundeswehr“, da hier mehr als in Frankreich die Landes- und Bündnisverteidigung im Vordergrund stehe. Für diesen Auftrag sei die Wehrpflicht „unverzichtbar“.

SPD-Verteidigungspolitiker Walter Kolbow erklärte, daß die Wehrpflicht „die am besten geeignete Wehrform“ sei. Sein Parteikollege, der Exbrigadegeneral Manfred Opel, regte allerdings an, eine Wehrstrukturkommission einzurichten und die Wehrpflicht „nicht länger als allgemeingültiges Prinzip zu betrachten“. Er verwies auf den kurzen Grundwehrdienst mit langer Reservistenzeit in skandinavischen Ländern als Alternative.

Winni Nachtwei, bündnisgrünes Mitglied im Verteidigungsausschuß des Bundestages, hält es für „bemerkenswert, wie nüchtern und gelassen das Thema in Frankreich diskutiert wird“. In Deutschland werde „viel zuviel dogmatisiert und idealisiert“. Er forderte eine „offene Diskussion darüber, ob die Bundeswehr wirklich ein unverzichtbarer Bestandteil von Demokratie und Rechtsstaat“ sei. Demnächst wird im Verteidigungsausschuß ein Antrag der Grünen zur Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht diskutiert. Die Bundeswehr solle, stark reduziert, mit „hohem, kürzer dienendem Freiwilligenanteil und kleinem Teil Berufssoldaten“ agieren, so Nachtwei. Eine Berufsarmee lehnte er wegen der „Gefahr der Absonderung von der Gesellschaft“ ab. Auch die neue französische Konzeption, die Soldaten fit zu machen für Auslandseinsätze, sei für Deutschland nicht akzeptabel: „Out of area lehnen wir grundsätzlich ab.“

Die Junge Union verlangt, Wehr- und Zivildienst gleichwertig zur freien Wahl zu stellen. Der stellvertretende Bundesvorsitzende Michael Hahn sagte, dies solle aber weiterhin nur für Männer gelten. Es gebe in der Jungen Union aber auch Überlegungen zu Abschaffung der Wehrpflicht: „Es gibt auch gute Gründe für eine Berufsarmee“, so Hahn zur taz. Es sei „Unsinn“, daß die allgemeine Wehrpflicht die „einzig legitime Form in einer Demokratie sei“. „Viele Demokratien haben Berufssoldaten, und Diktaturen schicken Wehrpflichtige in den Krieg.“ Heide Platen

Tagesthema Seite 3

Debattenbeitrag von Ulrich Albrecht auf Seite 10