: Kreuzzug der Technojünger
In die heile Welt der Kirche brechen Raver ein. Die Kirchenleitung will Technokonzert in der Schöneberger Lutherkirche verhindern ■ Von Barbara Junge
In Berlin sollen Jesus am Kreuz und Raver in der Disco bleiben. Wenn es nach dem Willen der Berliner Kirchenleitung geht, wird die Schöneberger Lutherkirche am Dennewitzplatz am 15. März nicht zu einem Technotempel umfunktioniert.
Die von der nordelbischen Kirche und dem Hamburger Forum für innovative Musik geplante ekstatische Nacht für Technofans wäre die erste in Berlin in einer noch für Gottesdienste genutzten Kirche. Schon am 16. Februar fand die Entweihung eines Gotteshauses durch die Ravergemeinde in Hamburg statt. Bier direkt vom Altar, Ecstasy-Pillen in Oblatenform und gregorianischer Grunge – diese Horrorvision wurde für viele fromme Christen in der hanseatischen Kirche Sankt Katharinen zur teuflischen Wirklichkeit. Die Initiative „Crusade“, zu deutsch Kreuzzug, des Kieler Pastors Stefan Wolfschütz lud zum ersten von fünf Technospektakeln unter dem gestrengen Blick des Gekreuzigten. Wolfschütz, Beauftragter der nordelbischen Kirche, verfolgt mit seiner Initiative das Ziel, „die Wirklichkeit in die Kirche zu bekommen“. Das will er mit einem Kreuzzug erreichen, denn „unter Kreuzzug verstehe ich etwas, wofür sich die Leute begeistern, und ich begeistere mich leidenschaftlich für die Öffnung der Kirche“, schilderte er seine spezielle Auffassung von Kreuzzügen. Aber mit der Wirklichkeit von Wolfschütz wollen wahre Christen nichts zu tun haben. In Hamburg zumindest provozierte die ungewöhnliche Kulthandlung Austrittsdrohungen von aufgebrachten Gemeindemitgliedern und wütende Anrufe im Gemeindebüro.
Die Proteste und Diskussionen in Hamburg haben nun auch die Berliner Kirche aufgeschreckt. Reinhard Strawinski, Sprecher der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, hat die Luther-Gemeinde im Namen der Kirche aufgefordert, die Technonacht abzusagen. „Ich habe nichts gegen Techno, aber eine Kirche ist doch keine Diskothek“, begründete er seine Ablehnung knapp. Man müsse aus der Hamburger Erfahrung doch einsehen, daß das Experiment gescheitert sei. Die Technofreaks hätten die Kirche erobert, nicht die Kirche die Herzen der Technofreaks.
Jetzt muß der Gemeindekirchenrat der Lutherkirche über seine Glaubensauffassung entscheiden. Mit Luther-Pfarrer Wolfgang Massalsky, der die Veranstaltung im Januar genehmigt hatte, verhandelte der Pastor Wolfschütz gestern. Die Ravergemeinde ist optimistisch: Am Infotelefon verbreiteten sie gestern schon die frohe Botschaft: „Entgegen allen Informationen steht der Termin am 15. März in der Luthergemeinde. Kartenvorbestellungen sind möglich.“ Tel.: (040) 348 02 90
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen