„Wie mache ich mich unsichtbar?“

■ Ein Gespäch mit dem Regisseur Michael Mann über das flache Los Angeles, die Arbeit des Detektivs und Menschen, die man nicht sterben sehen möchte

taz: Mr. Mann, Sie haben der Stadt Los Angeles eine ganz besondere Rolle in Ihrem Film zugedacht. In jedem Bild präsent, kalt, da, um zu funktionieren. Haben Sie Los Angeles wie einen Charakter behandelt?

Michael Mann: So weit würde ich nicht gehen und die Stadt als „handelnde Person“ bezeichnen. Aber sehr richtig ist, daß die Stadt mehr ist als eine bloße physische Umgebung, in der die Handlung stattfindet. Was ist Los Angeles heute? Für mich ist die Stadt ein technisch-industrieller Komplex, unglaublich faszinierend. L. A. ist nicht hoch wie New York, sondern flach. Wenn man sich aber in diese Stadt einpegelt, dann wird sie auf einmal dreidimensional. Aber diese dritte Dimension, die Höhe, das sind nicht Stahl und Beton wie in Manhattan. Das sind Helikopter, das sind 19 Flugzeuge in der Luft, über dir, zu jeder Tageszeit andere, die den Flughafen von Los Angeles anfliegen. Überall Satellitenschüsseln, Telefonnetze, Relais-Stationen, Strommasten, Signale – das ist Los Angeles. Und dann versuchte ich mir vorzustellen: Wie ist das, wenn Al Pacino als Vincent Hanna durch die Stadt streift, auf der Pirsch, seiner Arbeit nachgehend? Wie fühlt sich das an?

Haben Sie sich eigentlich wie ein Detektiv gefühlt, als Sie Los Angeles nach den geeigneten Drehorten durchkämmt haben?

Absolut, es war wie eine detektivische Arbeit, wie eine Rasterfahndung.

Wie weit muß die Geschichte eines einzelnen Charakters zurückreichen, um sie glaubhaft gestalten zu können?

Damit die Rollen zu Menschen werden, muß man sich nur diese eine Frage stellen: Was hat die Menschen zu dem werden lassen, was sie sind? Neil McCauleys Leben hat eine Geschichte. Als er ins Gefängnis kam, war er 22. Dort hat er auch erstmals die Idee gehabt, nach Neuseeland gehen zu wollen, um dort eines Tages all die Jahre nachzuholen, die man ihm durch den Knast weggenommen hat. Wie kommt man auf so eine Idee? Irgendwann ist er aufgewacht, um drei Uhr nachts, in seiner Gefängniszelle, und stellte sich die Frage: Wie konnte es passieren, daß ich mein Leben so verpfuscht habe? Wie kann ich meine Zukunft in den Griff bekommen? Ich habe keine Zeit mehr zurückzugehen, einen Beruf zu erlernen oder mir eine höhere Schulbildung zu gönnen. Ich muß aus der Situation, in der ich stecke, handeln.

Also werde ich ein Dieb, also stehle ich?

Ganz genau. Aber ich will dabei smart sein. Aber wie wird man smart? Wie wirst du unsichtbar da draußen, in der Stadt? Wie schaffst du es, das Risiko zu reduzieren, von den Bullen geschnappt zu werden? Trage Camouflage! Trage einen grauen Anzug! Habe keine auffälligen Merkmale! Benimm dich nicht auffällig! Menschen wie McCauley gibt es überall.

Auch Menschen wie Vincent Hanna. Wenn du sie triffst und näher kennenlernst, dann ist es dir nicht unbedingt egal, ob sie nun etwas verbrochen haben oder nicht, aber du möchtest sie ganz bestimmt nicht sterben sehen. Weil du echte Erfahrungen mit ihnen ausgetauscht hast, sie kennengelernt hast, ihre Geschichte erfahren hast. Und das macht „Heat“ zu einem echten menschlichen Drama, zu einer klassischen Tragödie.

Ein Drama mit Hauptrollen, die sehr europäische Lebensentwürfe haben. Beide Kontrahenten scheinen Existentialisten zu sein. Sie erfinden sich selbst.

Ja, das tun sie. Sie sehen das Leben nicht als eine Lotterie an, in der man gewinnen kann. Und sie wissen, daß sie in einer zubetonierten, modernen Welt leben. Das ist der Kern ihrer Existenz. Sie designen ihr Leben. Ja, ich würde sagen, daß sie beide Existentialisten sind.

Aber sie sind auch gescheiterte Existenzen, die sich mit aller Selbstverantwortung in die eigene Tasche lügen.

Ganz genau. Vincent Hanna betrügt seine Frau und letztlich sich selbst. Ich meine, ohne Absicht, aber dennoch betrügt er. Sie möchte ihn als normalen Privatmenschen erleben. Er versucht ihr den Eindruck zu vermitteln, daß er zwar 80 Prozent seines Lebens seinem Beruf widmet, in den verbleibenden 20 Prozent jedoch vollkommen mit ihr zusammen ist. Das aber ist eine Lüge. Die Arbeit „erhöht“ sein Leben.

Es gibt eine sehr bezeichnende Szene in „Heat“: Justine, die Ehefrau, macht sich zum Ausgehen schön, Vincent betritt den Raum, registriert, daß sie vorhat, nicht mit ihm auszugehen. Anstatt sie davon abzuhalten oder mit ihr zu reden, läßt er sie gehen...

...und wechselt blitzschnell aus dem verletzten Stolz in seine Jagd auf Neil McCauley und ruft: „I've got a great ideal!“ (Michael Mann lacht schallend.) Bestellt sich einen Hubschrauber... and goes to work. Mitten in der Nacht. Das nenne ich Effizienz!

Apropos: Den gesamten Film über bekommen wir Effizienz zu sehen. Die Polizei arbeitet effizient, McCauleys Gang arbeitet effizient, die Stadt funktioniert effizient...

McCauleys Leute sind sehr gute Diebe. Deshalb sind sie ja auch so interessant für Vincent Hanna. Als er am Ort des ersten Verbrechens auftaucht, empfindet er das Geschehene als „Good news!“ Nicht weil drei Menschen getötet worden sind, sondern weil endlich ein intelligent, ja perfekt durchgeführter Coup zu lösen ist. Interview: Max Dax