: Realitätsverlust im Landessozialamt?
■ Wohlers Allee 76: Amt ahnungslos, Vermieter dubios, Geschäfte gut Von Heike Haarhoff
„Spanisch“ kommt Landessozialamts-Vize Wolfgang Kremson an den Vorgängen in der Wohlers Allee 76 in Altona „gar nichts vor“. Den Vorwurf, seine Behörde habe dort ungeprüft Miet-Verträge mit dem Hauseigentümer Bader el D. über zwölf angeblich leerstehende Appartements zur Unterbringung obdachloser Menschen geschlossen, weist er weit von sich. Anders als in vorige Woche von der taz berichtet, könne daher von Behörden-Schlamperei keine Rede sein.
Kremson widerspricht seiner Pressesprecherin, die die Anmietung von zwölf Wohnungen erst bestätigt hatte. Nein, das Landessozialamt habe noch gar keine Verträge mit Bader el D. geschlossen; anders- lautende Aussagen will Kremson auf „simple Übermittlungs- oder Verständnisfehler“ reduzieren. Der Vermieter habe dem Amt die Ein-Zimmer-Appartements lediglich angeboten. Wenn es jetzt weniger als zehn oder zwölf seien, weil der Vermieter dort selbst mit seiner Familie einziehen wolle, „nehmen wir das zur Kenntnis“. Das Landessozialamt tangiere es wenig, ob nun zwei oder zwölf Wohnungen zur Verfügung stünden, bemüht Kremson Ausflüchte.
Auch bestreitet er, daß das Landessozialamt vor drei Wochen der „Punkfraktion“ der Wohngruppe Kampstraße 7 ein Angebot gemacht habe, daß zehn Leute schon zum 1. Mai 1996 in das Haus einziehen könnten: „Vielleicht haben die das als Zusage verstanden, weil sie bald aus der Kampstraße 7 ausziehen müssen“, unterstellt er den Verhandlungsführern defizitäre Realitätswahrnehmung.
„Voraussetzung für Mietverhandlungen zwischen Vermieter und Landessozialamt ist erstens, daß die Wohnung unbewohnt ist, zweitens, daß eine Baugenehmigung vorliegt, und drittens, daß die Miete im adäquaten Verhältnis zum Wohnraum steht“, prahlte Behörden-Sprecherin Petra Bäurle Ende vergangener Woche in ihrer Stellungnahme zum taz-Bericht mit Theorie. Daß keine der Voraussetzungen zutrifft, das Landessozialamt aber dennoch in Mietverhandlungen eintrat, streiten Kremson und Bäurle nun ab. Doch: Dem Bezirksamt Altona liegt kein Antrag des Vermieters auf Umbau vor. Was die angemessene Miete angeht, findet Kremson „30 Mark Kaltmiete pro Quadratmeter“, die das Landessozialamt Bader el D. zahlen will, „einen ganz normalen Preis“. „Für Altbauten ist das weit überhöht“, entgegnet Eve Raatschen von Mieter helfen Mietern.
Hinweise der Mieterin Alexandra R., der Vermieter habe ihr eine Eigenbedarfs-Kündigung geschickt (die der taz vorliegt) und wolle ihre Wohnung aber eigentlich umwandeln, interessieren das Landessoziaamt nicht: Die Mieterin könne „gar keine Kündigung erhalten haben, weil sie keinen Mietvertrag besitzt“, suggeriert Behördensprecherin Bäurle, Alexandra R. phantasiere.
Derweil sind am vergangenen Wochenende drei MieterInnen aus der Obdachlosen-Pension von Bader el D. ins Souterrain der Wohlers Allee 76 eingezogen. Einer, sagt Alexandra R., habe betrunken permanent gegen ihre Tür getreten, sie bedroht und angeschrien. „Ziemlich wahrscheinlich“ erscheint ihr aufgrund seiner Beschimpfungen, daß der Vermieter ihn gegen sie aufgehetzt habe, um sie rauszuekeln. Wie berichtet, war bei Alexandra R. zuvor schon tagelang mal Strom, Wasser oder Gas abgestellt worden. Daß das Landessozialamt angesichts solcher Schikanen von der Zusammenarbeit mit dem Vermieter absieht, steht zu bezweifeln.
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