: Und ewig droht das Musical
■ Mit vereinten Kräften gegen Kulturspektakel: Die Bremer Szene spricht sich gegen den Einstieg in eine Kulturwirtschaft der eingekauften Events aus / Diskussion im Haus der Bürgerschaft
Musical, Messehallen, Space Park. Bei Nennung dieser Begriffe macht sich in der Regel Unmut Luft in der Stadt. So buchstabiert sich aber nun mal Kulturwirtschaft auf Bremisch. Jedenfalls wenn es nach Michael Göbel von der Hanseatischen Veranstaltungsgesellschaft (HVG) geht. Göbel war einer der drei Diskutanten, die am Mittwoch auf Einladung der Grünen in der Bürgerschaft der Frage nachgingen: „Die schönen Künste und die Kulturwirtschaft – eine glückliche Verbindung?“
800.000 Menschen seien allein in den alten Bundesländern an der Schaffung (und Beschaffung) von Kultur beteiligt, führte Marlies Hummel vom Münchener Institut für Wirtschaftsforschung aus. Mehr Beschäftigte gebe es etwa im Ernährungsgewerbe auch nicht. Die Kultur und die Kulturwirtschaft – worunter Buchherstellung und -vertrieb ebenso subsumiert werden wie Filmfestivals, Kunstmessen und Multimedia-Anbieter – stehe vor einem tiefgreifenden Strukturwandel. Auf dem Podium saß im mäßig besetzten Festsaal neben Hummel und Göbel die Galeristin Katrin Rabus. Für Bremen diagnostizierte Marlies Hummel einen „Zwang zum Strukturwandel“ mit dem Hinweis, die „Kulturwirtschaft suche die Dichte“, vulgo: Wo zwei sich ansiedeln, will auch der Dritte hin. Dem konnte sich auch HVG-Mann Göbel nur anschließen, angesichts des Bremer Defizits von 15.000-16.000 Arbeitsplätzen in der Dienstleistungsbranche. Da habe Bremen den Anschluß verpaßt. Göbels Rezept: 1.000 Arbeitsplätze ließen sich durch die Messehallen „generieren“ (Göbel), 700 durch „ Jeckyll & Hide“, 1.500 durch den Space Park. „Wenn alles gut geht.“
Diese Hoffnung teilten die wenigsten unter den Anwesenden. Schon gar nicht Katrin Rabus, die lieber für eine – finanzielle und moralische – Stärkung der bestehenden Kultureinrichtungen plädierte: In der Stadt gebe es zu wenig Rückendeckung für die Dinge, die sich nicht rechnen. Und gerade die seien „unverzichtbar“ angesichts der kleinen Bremer Kulturszene, in der die Konsumenten häufig deckungsgleich mit den Produzenten seien.
Ein düsteres Szenario. Allerdings traf es zumindest für diese Veranstaltung zu. Denn das Gros der Teilnehmer stellten die auf die eine oder andere Weise mit Kunst und Kultur Befaßten. Die Sitze für die Leute von der Straße blieben leer.
So konnte sich die Szene auch besser darauf konzentrieren, Zielwasser für Michael Göbel zu sammeln. Künstlerhaus am Deich-Chef Horst Griese wählte den väterlichen Ton, um Göbel seine Musical-Gelüste auszutreiben: „In Ihrem jungen Leben werden Sie noch lernen, daß Sie mehr bedenken müssen als Zahlen.“ Uli Fuchs, Dramaturg am Bremer Theater, wurde gar moralisch und empfand es als „obszön“, wenn in einer Stadt wie Duisburg mit 20 Prozent Arbeitslosen „Les Misérables“ aufgeführt würde, ein Musical vom Elend des Industrieproletariats. Lachen im Saal auf den Einwand von Hermann Kuhn, Vizepräsident des Bürgerschaftsvorstandes: „Sie führen doch jetzt auch den „Woyzeck“ auf.“
Höchste Zeit, daß Moderator Ralf Fücks eingriff. Eigentlich sollte es, überspitzt gesagt, an diesem Abend um die Alternative „Musicon statt Hemelinger Tunnel“ gehen, nicht um „Musical versus Theater“. Fand auch Barbara Loer, ehemalige Koordinatorin in der Kulturbehörde, und wurde mit Applaus bedacht: „Schon den ganzen Abend wird wieder über Großprojekte geredet statt über Strukturwandel.“
Der könnte nach Katrin Rabus so aussehen, daß die 45 Millionen Mark – gedacht als Anschubfinanzierung für das geplante Musical – in eine Stiftung eingehen. Mit den erwirtschafteten Zinsen soll das vorhandene kulturelle Leben bedacht und gestärkt werden. Es gehe darum, nicht bloß auf Touristen und Übernachtungszahlen zu schielen, sondern eine kulturelle Identität für Bremerinnen und Bremer zu schaffen, so daß die Leute „stolz sind auf ihre Stadt“.
Das Musical – es wollte und wollte sich nicht vertreiben lassen aus der Diskussion – empfand auch Ralf Fücks als „Fremdkörper“; für Göbel „fällt es nicht unter Kultur“. Überhaupt, verteidigte sich Göbel in einem Rundumschlag, habe die HVG kein Geld zu verteilen, sondern sei eine „Zwei-Mann-Veranstaltung“, die Kulturwirtschaft lediglich koordiniere, und hervorgegangen aus der Stadthallen AG, um mit privatwirtschaftlichem Status effizienter zu arbeiten.
Die Diskussionsrunde war ein erster Versuch, befand nach Zweidreiviertelstunden Ralf Fücks, Kultur einmal nicht als Selbstzweck zu diskutieren, sondern als Industrie. Zur Sinn- wie auch zur Bruttosozialproduktion. Daß Michael Göbel zum Blitzableiter des Abends wurde, darf wohl als Ausdruck der Ratlosigkeit der Kulturszene angesichts der allgegenwärtigen Spar- und Schrumpfpolitik gewertet werden. Zu der Frage, wie denn nun der vorhandene Kulturbetrieb zum – auch finanziellen – Nutzen der Stadt vernetzt und verzahnt werden soll, war am Mittwoch nichts Konkretes zu erfahren. Zu sehr schwebte noch der Geist der frühen Jahre über dem Festsaal der Bürgerschaft: Was nicht staatlich subventionierte Kultur ist, kann keine sein.
Alexander Musik
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