: Regierung auf Kurs der SPD
■ Aussiedler sind für beide nicht mehr willkommen
Fünf Tage beträgt mittlerweile die Verfallszeit für politische Aussagen der Bundesregierung. Am Montag skandierte Außenminister Klaus Kinkel (FDP): „Das Tor bleibt offen.“ Das Dogma galt dem SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine, der sich anschickte, den Zuzug der Rußlanddeutschen zu begrenzen. Den Aussiedlern, die des Außenministers Worte vernommen haben, dürfte die Freude darüber jetzt im Halse stecken bleiben. Denn in Anbetracht der Blümschen Vorhaben zur Abschaffung der Fremdrente erweist sich Kinkels Tor als Nadelöhr für all die volksdeutschen Kamele, die noch ins Heimatreich streben.
Fünf Tage ist es her, da nannte ein anderes Mitglied der Bundesregierung, der Aussiedlerbeauftragte Horst Waffenschmidt (CDU), die Behauptung „irreführend“, Aussiedler würden die Rentenkasse in besonderer Weise belasten. Wer, bitte schön, hat denn nun wen in die Irre geführt? Herr Lafontaine die Öffentlichkeit, wie Herr Waffenschmidt meinte, Herr Blüm Herrn Waffenschmidt, wie man zu dessen Gunsten annehmen könnte, weil anderenfalls er ein Lügner zu nennen wäre, oder Herr Waffenschmidt die Öffentlichkeit, wie man zu Blüms Gunsten annehmen könnte, weil der andernfalls inkompetent und das Bundeskabinett desorganisiert zu nennen wäre?
Auf jeden Fall hat sich Lafontaine in seiner Einschätzung der Koalition nicht geirrt. Die möchte zwar die völkische Ideologie nicht missen, aber die Volksdeutschen auch nicht haben, sofern sie das soziale System belasten. Deshalb konnte sich der SPD-Vorsitzende der insgeheimen Zustimmung der Konservativen sicher sein, als er zum Ausgangspunkt seiner Attacke auf die Aussiedler die Standortsicherung nahm, zu der nach beider Verständnis die Ausgrenzung kostenträchtiger Minderheiten gehört. Indem die Regierungsparteien zunehmend auf die Gleichheit des Gesetzes mit materieller Ungleichheit antworten, indem sie die Aussiedler zu Deutschen zweiter Klasse machen, unterminieren sie den Kern ihrer völkischen Ideologie, das Jus sanguinis.
Ethisch betrachtet könnte man das ganze schäbig nennen, wohlwollend gesehen führt es zu der Notwendigkeit, endlich das Jus soli zum Staatsbürgerrecht zu machen und eine Einigung über ein Einwanderungsgesetz zu erzielen. Dieter Rulff
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