Flugblätter gegen „Schwulenticker“

■ Antischwule Gewalt: Sparversion statt Überfalltelefon und Opferarbeit Von Silke Mertins

Die Erfolgsmeldungen aus anderen Großstädten sind bestechend: Seit das Berliner Überfalltelefon „Mann-o-Meter“ in Zusammenarbeit mit der Polizei Opfer anti-schwuler Gewalt betreut, ist die Anzeigebereitschaft von zehn auf 90 Prozent gestiegen. Kaum eine Metropole, die kein Projekt zur Bekämpfung der homophoben Gewalt fördert. Nur Hamburg, so der Schwulenverband (SVD), ist noch immer ein „Paradies für Schwulenticker“.

Das vom SVD entwickelte und 400.000 Mark teure „Vier-Säulenmodell“ – „Überfalltelefon, Präventionsarbeit, Begleitforschung und polizeilicher Schwulenbeauftragter“ – wurde im Februar von der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales (BAGS) abgelehnt. Kein Geld.

„Kernbereiche von Grundrechten wie die Gewährleistung der körperlichen Unversehrtheit müssen auch für schwule Bürger gelten“, empört sich Reinhard Saß vom SVD über die Ablehnung der BAGS. Die Finanzierung sei eine Sache der Prioritätensetzung in einem „rechtsstaatlich bedenklichen Vakuum“, wie Rüdiger Lautmann, Professor an der Uni Bremen, es formuliert. Der SVD weiß die Experten hinter sich; selbst mit der Polizei ist man sich einig, daß es einen inhaltlichen Dissens nicht gibt. Es sei bei Gewalt gegen Schwule von einem „beispiellos großen Dunkelfeld auszugehen“, bestätigt auch der Polizeisoziologe Rüdiger Bredhauer. „Gewaltopfer haben oft Angst, die Tat anzuzeigen, weil sie die Rache der Täter fürchten.“ Dieser „Kreis des Schweigens“, so ein anderer Polizeibeamter, schütze die Täter.

Die Erfahrung in anderen Städten zeige, so Bredhauer, daß der Gang zur Polizei leichter fällt, wenn die Tat zunächst Mitarbeitern von Schwulenorganisationen offenbart würde. Sein Appell: Trotz der ablehnenden Entscheidung sollten die während des „runden Tisches“ gegen antischwule Gewalt bei Hein & Fiete entwickelten „guten Kooperationsansätze“ ausgebaut werden. Auch SVD-Sprecher Reinhard Saß bestätigt einen „ausgesprochen guten Draht“ zur Polizei.

Wie es weitergehen soll, weiß im Augenblick allerdings niemand. Der Senat hat nur den Vorschlag der gesundheitspolitischen SPD-Sprecherin – und damit für Schwule und Lesben zuständig (!) – Petra Brinkmann gebilligt. Der sieht speziell geschulte Ansprechpartner bei der Polizei sowie ein gemeinsames Flugblatt vor. „Modell Hüftschnellschuß“, ärgert sich Reinhard Saß. Das besondere an dem Vier-Säulen-Modell sei ja gerade, daß für die Gewaltopfer etwas getan wird. „Die Polizei kann nur täterorientiert arbeiten.“ Außer eine Anzeige aufzunehmen könnten die Freunde und Helfer dann nichts anbieten. Ergo: An der geringen Anzeigebereitschaft wird die Kleinstlösung nichts ändern.

Ehrenamtliche Arbeit für ein „Überfalltelefon“ habe man bereits angeboten, so der SVD. Doch man könne nicht auch noch die Telekomrechnungen aus eigener Tasche bezahlen. „Jetzt ist die SPD am Zuge“, findet Saß. Doch die ließ sich in Form der Schwusos bisher lediglich zu unausgegorenen Ideen und Nörgeleien in Richtung SVD hinreißen. „Sollte sich der SVD weiterhin verweigern, müßte das Polizei-Konzept ohne ihn umgesetzt werden“, bläst sich der Schwuso-Sprecher Holger Kreymeier zum Senats-Pflichtverteidiger auf. Jetzt sei es wichtig, „kreativ und ideenreich“ zu sein. „Gespräche“ gelte es zu führen, Abgeordnete anzusprechen – solche und ähnlich revolutionäre Vorschläge hat Kreymeier zu bieten. Gerne würden die Schwusos außerdem Polizeibeamte als psychosoziale Berater einsetzen: „Die Schwusos fordern, daß die Ansprechpartner der Polizei auch Sprechzeiten bei schwulen Einrichtungen wie Hein & Fiete anbieten, um niedrigschwellig zu arbeiten.“ Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) wird sich für die unerwartete Umwidmung seiner Haushaltsmittel sicher herzlich bedanken.

Das Verhältnis von Schwulen und Polizei ist traditionell durch den Paragraphen 175, der erst vor kurzem abgeschafft wurde, schwer belastet. Doch nicht nur deshalb muß nach Ansicht des SVD ein Schwulenprojekt zwischen Polizei und Betroffenen vermitteln. Nach der „formalen Entdiskriminierung“ müsse eine „inhaltlich-positive“ folgen, so Professor Lautmann in einem Gutachten. „Erst wenn die empfundenen Risiken, zum Opfer physischer Übergriffe zu werden, auf das Maß der allgemein herrschenden Kriminalitätsfurcht zurückgehen, wird offene Selbstartikulation möglich werden.“