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„Einer wie mir“

Baden-Württemberg vor der Landtagswahl: Nur wenige zweifeln daran, daß es CDU-Ministerpräsident Erwin Teufel noch einmal schaffen wird  ■ Aus Stuttgart Philipp Maußhardt

Der Umsatz einer Stuttgarter Brauerei stieg vor kurzem steil an. Das lag nicht daran, daß die Halbe Dinkelacker plötzlich besser schmeckte als die Halbe Schwaben Bräu. Es lag an dem genialen Werbespruch, mit dem Dinkelacker das Land zugeklebt hatte: „Ein Bier wie mir“. Der Satz ist nicht nur genial, er ist auch grammatikalisch völlig korrekt. Denn am Neckar gibt es kein „Wir-Gefühl“, es gibt nur ein „Mir-Gefühl“. „Mir ganget jetzt“, sagen die Schwaben, wenn sie das Lokal verlassen, und „mir gebet nix“, wenn ein Hausierer vor der Türe steht. „Mir“ ist ein ganz, ganz wichtiges Wort, und wenn einer ist „wie mir“, dann gibt es an Lob keine Steigerungsform.

Erwin Teufel ist „wie mir“. Er verkörpert den idealen Demokraten, wenn damit gemeint ist: Politik ist Jedermannssache.

Kürzlich war der Ministerpräsident in Osterburken. Das muß man nicht kennen. Wissen sollte man aber, daß rund 70 Prozent der Badener und der Württemberger in Orten wie Osterburken wohnen, die weniger Einwohner zählen als 50.000. In größeren Städten leben dagegen nur 30 Prozent der Gesamtbevölkerung Baden-Württembergs. In Osterburken wird darum die Wahl entschieden.

Die Baulandhalle von Osterburken faßt knapp 500 Menschen, und sie war nicht voll an diesem Abend. Der Einmarsch von Erwin Teufel zum geschmetterten Badener-Lied der Stadtkapelle („Frisch auf, mein Badener Land“) wirkte darum etwas verlegen, wie er so winkend an den Tischreihen vorüber zur Bühne schritt. Das war dann aber auch schon alles, was ein wenig nach Show roch, ein Begriff, der so gar nichts mit diesem Mann zu tun hat.

Erwin Teufel redet langsam, zum Mitschreiben. Seine Hände halten sich am Pult fest, und hebt er einmal die Stimme, dann erschrickt er selbst und wird schnell wieder leiser. Doch gerade jeder Verzicht auf Effekte kommt im Land des Understatements gut an. Diesem Redner nehmen die Menschen sogar ab, was er gleich zu Beginn seiner Wahlkampfrede versichert: „Ich komme gerne nach Osterburken, und da denke ich an ihre Sorgen, an den Schulhausumbau und die Erweiterung der Schulküche ...“

Donnerwetter, mag man sich als Fremder da vielleicht einen Moment fragen: Ja, um Himmels willen, an was muß so ein Ministerpräsident nicht alles denken?! Da spricht Erwin Teufel aber schon weiter: „... und denke an die Landesstraße L 518 von Rosenberg nach Hüngheim und ihren Wunsch nach einer Ortsumfahrung. Ich rede da mit meinem Verkehrsminister.“ So spricht nur ein gütiger Landesvater zu seinen lieben Landeskindern.

Wie er dort oben auf der Bühne am Pult steht und nur mit wenigen Gesten seiner Rede den Anstrich von Rhetorik gibt, das findet Anklang. Da zaubert keiner Karnickel aus dem Hut, da knallt kein Böller zur rechten Zeit. „Liebe Mitbürger und Mitbürgerinnen“, nennt Teufel seine Wähler und Wählerinnen, und seine am häufigsten benutzten Wörter sind an diesem Abend „der ländliche Raum“.

Baden-Württemberg ist unendlich ländlich. Als Teufel darum sagt, im Wahlprogramm der SPD stehe „kein einziges Mal der Begriff ländlicher Raum“, da geht ein Murren durch die Halle. Typisch Spöri, schimpfen die Ländler über den SPD-Spitzenkandidaten, der sich so weltgewandt gibt und der sich in beiden Suschi-Bars von Stuttgart selbstsicherer bewegt als im Ochsen von Maulbronn.

Damit hat Teufel aber über die SPD schon genug gesagt. Er läßt in diesem Wahlkampf die anderen Parteien fast ungeschoren. Ihm genügen bei seinen Auftritten jeweils drei Sätze, um seinen Zuhörer den Wahnsinn einer rot-grünen Koalition vor Augen zu führen: „Das Benzin soll fünf Mark pro Liter kosten“ – Autofahrer krümmen sich. „Drogen sollen freigegeben werden“ – Eltern schütteln sich. „Diebstahl soll bis 500 Mark straffrei bleiben“ – Ladenbesitzer raufen sich die Haare.

In solchen Momenten spürt man, daß hinter dem braven, dem biederen, dem katholischen Erwin auch ein Teufel steckt. Er zielt genau auf den Bauch der Wähler, mit dem noch immer jede Wahl gewonnen wurde. Teufel vermittelt nicht nur in Osterburken den Eindruck: „Genau euch meine ich, ich bin einer von euch!“ Wie er, als der pflichtgemäße Applaus verklungen ist, von der Bühne herunterkommt und dann mit diesem und jenem einen kurzen Plausch hält, ruhig zuhört und freundlich antwortet – da ist er wieder ganz der „gute Mensch von Zimmern“, seinem Geburtsort (ländlicher Raum), von dem er auszog, erst Bürgermeister in Spaichingen und dann Ministerpräsident zu werden. Als Lothar Späth 1991 von Affären gebeutelt zurücktreten mußte, galt Teufel manchem als Verlegenheitslösung.

Ach ja, Späth. Der war 1988 auch mal in Osterburken. Brechend voll war da die Halle und die Stimmung wie immer prächtig. Lothar hat eingeheizt, so, daß die Leute in Osterburken noch heute davon reden. Den Tausendsassa mögen sie im Ländle immer noch, trotz seiner vielen Affären.

Späth, der Spitzbube, gilt vielen noch als Held, weil er eben immer ein bißle cleverer war als andere. Das gefällt den Schwaben, daß einer der ihren es so faustdick hinter den Ohren hat. Da verzeiht man gern kleine Schwindeleien. Merkwürdig ist nur, daß die Lothar-Fans jetzt an Erwin genau das Gegenteil lieben: Daß er eben ehrlich ist; daß er das, was er sagt, auch so meint; daß man ihm nichts Unanständiges zutraut.

Eines der Teufelschen Lieblingswörter ist die „seelische Temperatur“. Die muß wieder steigen, sagt er, damit man sich wohlfühlt im Land. Und steigen wird sie, wenn die jungen Leute sich wieder in der Feuerwehr oder im Sportverein engagieren. Wenn die Familie wieder geachtet wird. Wenn spielende Kinder nicht länger als Lärmbelästigung empfunden werden. Wenn Nachbarn sich gegenseitig helfen – mit einem Wort: Wenn es überall so ist, wie seinerzeit in Spaichingen.

Mit 25 Jahren war Teufel dort 1964 zum jüngsten Bürgermeister in Baden-Württemberg gewählt worden. Dort wohnt er auch noch heute, trotz „Dienstvilla“ in Stuttgart. Früher, als die CDU noch allein regierte und nicht so viel Zeit in Koalitionsgesprächen verplempert wurde, fuhr Teufel von Spaichingen mit dem Zug in die Landeshauptstadt, nachdem ihm seine liebe Frau ein gutes Frühstück gemacht hat (vor kurzem ist ein Kochbuch von ihr erschienen, mit Gerichten, die Erwin besonders mag). Da lief er dann in Begleitung eines Uniformierten den Bahnsteig entlang zum Dienst und fiel kaum einem Reisenden auf.

Lothar Späth wäre beleidigt gewesen. Erwin Teufel ist das recht. Er ist eben einer „wie mir“. Für einfältig aber sollte man den heute 56jährigen Regierungschef nicht halten. Er kennt seine Wirkung und setzt darauf, daß Wähler in stürmischen Zeiten lieber einen ruhigen Hafen ansteuern, als mit SPD und Grünen in unbekannte Gewässer zu fahren. Jedenfalls hatte sich hier lange Zeit niemand vorstellen können, daß ein heimischer Konzern wie Daimler Benz, der Konzern schlechthin also, ins Straucheln geraten könne. Das hat die Schwaben tief ins Mark getroffen. Die Milliardenverluste des Konzerns sind emotional schwerer zu verkraften als die insgesamt 200.000 verlorengegangenen Arbeitsplätze in den vergangenen vier Jahren im Land. Die Wirtschaftspolitik ist deshalb Wahlkampfthema Nummer eins und auch Nummer zwei und Nummer drei. Darum dreht sich alles, und hier wird auch ein sonst seriöser Erwin Teufel dabei ertappt, wie er eine Milliarde für künftige Investitionsprogramme verspricht, nicht aber genau sagen kann, woher er sie nimmt.

Die letzten Meinungsumfragen jedenfalls sehen Teufel weit vor seinem Herausforderer Dieter Spöri liegen, und während vor Wochen noch ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Rt-Gün auf der einen und Schwarz-Gelb auf der anderen Seite prognostiziert wurde, fragen sich die Kommentatoren inzwischen nur noch: Reicht es der CDU allein, oder braucht sie die FDP?

Das ist denn auch die einzige Chance auf einen Wechsel in Stuttgart, wenn Freidemokraten (1992: 5,9 Prozent) und „Republikaner“ (10,9 Prozent) nicht mehr in den Landtag gewählt werden. Nur dann können SPD und Grüne ihr Eheversprechen einlösen. Die beiden haben in Baden-Württemberg keine allzu großen Probleme miteinander, dafür steht mit Fritz Kuhn ein viel zu realistischer Dynamiker an der Spitze der grünen Partei. Gut, über das Atommuseum Obrigheim wird gestritten, und Kuhn nennt Spöri böse „den besten Wirtschaftsminister, den die CDU je hatte“. Aber weder ein Garzweiler noch eine Ökosteuer sind im Südwesten ein Hindernis für ein rot-grünes Bündnis.

Daß Dieter Spöri mit seiner Polemik gegen die europäische Währungsunion und gegen den weiteren Zuzug von Aussiedlern mit der Angst der Ängstlichen spielt, ist allerdings ein sehr vordergründiger Versuch, nun im dritten Anlauf endlich den Ministerpräsidentensessel zu erklimmen. Doch vor allem in der Frage der Glaubwürdigkeit sehen nach der jüngsten Infrateststudie die Wähler in Teufel den besseren Garanten. 30 zu 16 Prozent lautet hier der für Spöri niederschmetternde Vergleich.

Mit einem Wiedereinzug der Republikaner rechnet dagegen niemand mehr ernsthaft. Die Rechtsausleger, die vor vier Jahren zur drittstärksten Kraft wurden und seither vor allem durch vollzähligen Appell ihre soldatische Sitzpflicht in den Debatten des Landtags unter Beweis stellten, haben in Baden-Württemberg kein Fundament. Und keine Partei tat den „Republikanern“ bislang den Gefallen, Ausländerpolitik zum Wahlkampfthema zu machen.

Um im Bild des Bauernsohns Erwin Teufel zu bleiben: Am 24. März wird er aller Voraussicht nach nicht nur das Korn ernten, das er gesät hat, er wird möglicherweise auch die Trauben pflücken, die für Spöri zu hoch hängen.

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