„In Freetown hungert niemand“

■ Verwaltungsrichter plädiert für die Abschiebung eines 16jährigen nach Sierra Leone

Verängstigt betrat gestern der 16jährige Manuel F. das Verwaltungsgericht. Sein Asylantrag war vom Bundesamt abgelehnt worden. Jetzt mußte das Verwaltungsgericht über seine Klage gegen den ablehnenden Bescheid entscheiden.

Manuel F. stammt aus einem Dorf mitten im Rebellengebiet des vom Bürgerkrieg zerrütteten Sierra Leone. Beide Eltern wurden bei einem Überfall auf das Dorf im Oktober 94 erschossen. Dem Jugendlichen gelang zwei Monate später die Flucht nach Deutschland.

Nun soll Manuel wieder zurück, meint Verwaltungsrichter Diedrich Feldhusen. Die allgemeine Lage in Sierra Leone interessiere ihn wenig, erklärte er: „Ich rede nur darüber, ob jemand nach Freetown abgeschoben werden kann.“ Als der 16jährige seine Angst vor der Rückkehr in das Land schilderte, in dem er niemanden mehr kennt, entgegnete Feldhusen: „Arbeitslosigkeit schützt nicht vor Abschiebung“. Manuel F. könne ja in das betreute Flüchtlingslager der Hauptstadt gehen: „Es hungert niemand in Freetown.“

Mit dieser Darstellung aber liegt Richter Feldhusen quer zu den offiziellen Berichten. Das Auswärtige Amt stellte im Dezember fest: „Das gesamte politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben in Sierra Leone wird von dem Bürgerkrieg überlagert. Dies führt auch zu einer sehr angespannten Atmospähre in Freetown.“ Besonders Einzelpersonen hätten darunter zu leiden, , die in der Hauptstadt keinerlei Bezugspersonen haben.

Im Dezember besuchte die Vereinigung „Ärzte ohne Grenzen“ das Land, in dem etwa zwei Millionen Menschen, also etwa die Hälfte der Bevölkerung Sierra Leones, auf der Flucht ist. In den Flüchtlingslagern grassieren Cholera und andere schwere Krankheiten. Die Versorgungslage ist dramatisch, es fehlt überall an Essen und Medikamenten. Die Mediziner berichteten auch über Menschenrechtsverletzungen, deren Brutalität ein kaum gekanntes Maß erreicht hätten. Die Ärzte trafen auf Flüchtlinge, denen man die Zungen herausgerissen und Augen ausgestochen hatte.

„Ich kann Ihnen auch noch viel erzählen über schreckliche Dinge in der Welt“, reagierte Feldhusen auf diese Situationsbeschreibung. Ebensowenig beeindruckte ihn der Lagebericht des Afrika-Institutes, das vor Abschiebungen nach Sierra Leone warnt. Dieselbe Empfehlung gab der UNHCR am 25.1.96: „Es sollte gegenwärtig von Abschiebungen nach Sierra Leone abgesehen werden. Dies gilt auch für Freetown, insbesondere, wenn die Betreffenden über keinerlei verwandtschaftliche Bindung in Freetown verfügen und deshalb auf eine Unterkunft im Flüchtlingslager angewiesen wären.“

Solche Sätze, winkt Feldhusen ab, stünden unter jeder Erklärung des UNHCR. Aber hier könne nicht jeder einen eigenen Maßstab entwickeln. Gewisse Organisationen erstellen, fuhr er fort, Gefälligkeitsgutachten, um sich der Verantwortung von Abschiebungen zu entziehen. Er aber habe genau und konkret zu prüfen, ob Manuel F. an Leib und Leben Gefahr drohe. Dafür vermochte Feldhusen keine „beachtliche Wahrscheinlichkeit“ zu erkennen, auch wenn Manuel noch jung sei: „Er ist bis hierher zurechtgekommen, dann wird er sich in Freetown durchschlagen.“

Das Ergebnis der Verhandlung wird in 14 Tagen bekanntgegeben, doch die Äußerungen des Richters lassen kaum Unklarheiten aufkommen. Gegenüber einem Mitarbeiter der Asylgruppe Schildstraße erklärte Feldhusen nach der Verhandlung, das Gros aller Asylsuchenden bestehe ohnehin aus Wirtschaftsflüchtlingen.

Hoffen kann Manuel F., so absurd es klingt, derzeit noch auf die Bremer Ausländerbehörde: Diese schiebt zur Zeit nicht nach Sierra Leone ab, erklärte Behördenleiter Dieter Trappmann zur taz. „Wegen des dort herrschenden Bürgerkrieges“. dah