: Verwirrung in den Reihen von Hamas
■ In der militanten Palästinenserorganisation weiß die Rechte nicht mehr, was die Linke tut. Diffuse Verschleierungsmanöver sollten Spaltung vertuschen. Der Machtkampf läuft jetzt über Kommuniques
Berlin (taz) – Die islamische Palästinenserorganisation Hamas ist tief gespalten. Während Israels Ministerpräsident Shimon Peres und sein palästinensischer Friedenspartner Yassir Arafat nach dem jüngsten Busanschlag in Jerusalem einen Schulterschluß vollzogen und dazu aufriefen, die Untergrundgruppen „bis zur Zerstörung“ zu bekämpfen, herrscht in den Reihen von Hamas Konfusion und Verwirrung.
Noch am vergangenen Donnerstag hatten Hamas und ihr militärischer Arm, Ezzedin al-Qassim, der israelischen Regierung schriftlich einen Waffenstillstand angeboten. Der israelischen Regierung wurde eine „Bedenkzeit“ von sieben Tagen eingeräumt. Mit dem Busanschlag vom Sonntag wurde diese Frist gebrochen. „Der militärische Flügel der Hamas ist gegenwärtig sicher nicht dabei, die Anweisungen des politischen Flügels zu befolgen“, bekannte denn auch einer der politischen Hamas-Führer in Hebron, Scheich Taysir al- Tamimi gegenüber einer Nachrichtenagentur.
Verwirrung herrschte freilich schon vorher: Nach den Anschlägen vom letzten Februarsonntag in Jerusalem und Ashkelon hatten Hamas und ihr militärischer Flügel zunächst jede Verantwortung für das blutige Attentat zurückgewiesen. Doch dem anfänglichen Dementi war nur drei Tage später eine Bekräftigung der eigenen Urheberschaft gefolgt. Hamas machte die Namen der Selbstmordattentäter bekannt und versuchte damit, die innere Spaltung zu übertünchen.
Hintergrund der Spaltung ist die unterschiedliche Haltung innerhalb der Hamas-Flügel gegenüber Arafats Autonomiebehörde. Die politischen Köpfe der Organisation möchten sich einen Platz an der Seite der Autonomiebehörde sichern, die militanten im Ausland dagegen nicht auf die „militärische Option“ verzichten.
Mit den Wahlen zum palästinensischen Autonomierat im Januar erreichte der Hamas-Zuspruch in den besetzten Gebieten seinen bisherigen Tiefststand. Einige Hamas-Führer strebten deshalb schon vor den Wahlen vergeblich ein Arrangement mit Arafats Autonomiebehörde und eine „Legalisierung“ als politische Opposition an. Hamas wurde im Dezember 1987 zu Beginn der Intifada als „schlagkräftiger Arm der Bewegung der Muslimbrüder“ im Gazastreifen gegründet.
In den Jahren des Palästinenseraufstandes wuchs Hamas zu einer Konkurrenz der PLO heran. Sowohl den Friedensprozeß von Madrid im Jahre 1990 als auch die folgenden Autonomieabkommen lehnte Hamas als „Verrat am palästinensischen Boden“ ab. Gleichwohl verhandelten Hamas und die PLO seit September 1993 sowohl im Sudan als auch im Jemen über eine Einbindung in die Autonomiebehörde und eine Beendigung des Terrors gegen israelische Ziele. Im April 1994 schlossen Arafats Fatah und Hamas' militärischer Arm einen dauerhaften Waffenstillstand untereinander. Nach weiteren zähen Gesprächen lag schließlich im Oktober 1995 ein unterschriftsreifes Abkommen vor. „Aus pragmatischen Gründen und um Blutvergießen unter Palästinensern zu vermeiden“ sei Hamas bereit, die vertraglichen Verpflichtungen der Autonomiebehörde gegenüber Israel zu respektieren und die militärischen Aktionen gegen Israel einzustellen. Arafat schien seiner Verpflichtung, den fundamentalistischen Terror gegen Israel einzudämmen, nachgekommen zu sein.
Doch nach der Ermordung mehrer regionaler Hamas-Führer durch die israelische Armee und dem Tod des Hamas-Bombenbauers Yahya Ajjasch durch eine ferngezündete Telefonbombe verlor Arafats Vereinnahmungsstrategie an Durchschlagskraft. Vor allem die in Amman und Damaskus residierenden Auslandsführungen verlangten eine Rückkehr zur „militärischen Option“.
Unabhängig von der politischen und militärischen Hamas-Führung im Gazastreifen bildete sich dann vor zwei Monaten in der Westbank eine Gruppe mit dem Namen „Schüler von Yahya Ajjasch“. Sie bombte Hamas in die Spaltung und den Friedensprozeß in seine bislang größte Krise.
In ihrem jüngsten Kommuniquè teilen die „Schüler“ mit, daß die Rachenahme für Ajjasch jetzt beendet sei und die militärischen Aktivitäten in die kommenden drei Monate ausgesetzt würden. Eine deutliche Warnung geht an die örtliche Hamas-Führung, keinerlei eigenmächtige Erklärungen mehr abzugeben oder Israel gar Waffenstillstandsangebote zu unterbreiten. Der Machtkampf wird jetzt also schon über Kommuniqués ausgetragen. Georg Baltissen
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