Sozialhilfe wird aus dem Automaten gespuckt

■ Statt in langen Schlangen vor der Amtskasse zu warten, bekommen die Sozialhilfeempfänger ihre „Stütze“ aus dem Geldautomat. Ein Versuch in Berlin

Berlin (taz) – Das Ding wirkt wie ein stählernes Ungetüm, zwei Meter hoch, schmal wie ein Bierkasten, silbern glänzend. Es wiehert nicht, das Ding klimpert. Ein Geldesel. Deutschlands erster Sozialhilfeautomat. Er steht im Kassenraum des Rathauses Berlin- Kreuzberg. Seit gestern spuckt die Maschine bis auf den Pfennig genau die Sozialhilfe aus.

In dem Berliner Bezirk profitieren in der angelaufenen Testphase zunächst 2.000 Sozialhilfeempfänger ein halbes Jahr lang davon. Vom Sozialamt erhalten sie Plastikchips in Kreditkartenformat. Wer die Karte in den Automatenschlitz schiebt und sein Geburtsdatum eintippt, erhält die Zuwendung. Die Plastikkarte behält der Automat ein. Die Karten sind eine Woche lang gültig, jede Woche wird die Farbe gewechselt.

Vorteil für die Sozialhilfeempfänger: Wartezeiten von bis zu einer Stunde vor der Kasse entfallen, auf die Öffnungszeiten von 8 bis 12 Uhr ist niemand mehr angewiesen. Der Automat bedient, solange das Rathaus geöffnet ist, montags bis freitags von 7 bis 18 Uhr. Der Vorteil für das Bezirksamt: Die Auszahlungsanordnung in fünffacher Ausführung gibt es nicht mehr. Das reduziert die Drucker- und Papierkosten. 12.000 Mark spart der Bezirk allein im Jahr dadurch ein, daß nicht mehr der Schalterbeamte die Summe groschenweise nach oben aufrundet, sondern der Automat auf den Pfennig genau auszahlt. Mittelfristig wird der Automat mehrere Kassenbeamte ersetzen.

Dennoch: Die Zwischenbilanz gestern nach den ersten zwei Stunden der automatisierten Auszahlung war nicht rundum positiv. 40 Leute hatten ihre „Stütze“ abgehoben, zwei Pannen waren passiert. Plötzlich hatte Stefan Pfau, der Leiter des Kreuzberger Zahlungsverkehrs und „Vater“ der Maschine, festgestellt, daß als Auszahlungstag Dienstag und nicht Montag angegeben wurde. Schuld war aber nicht das neue Gerät, sondern der Zentralrechner, der den Schalttag 29. Februar nicht berücksichtigt hatte. Wenig später das zweite Mißgeschick: Ein Familienvater hatte die Karte richtig eingeschoben und sein Geburtsdatum eingetippt, nur das Geld kam nicht heraus. 3.880 Mark. Der Automat zahlt maximal 30 Hunderter- Scheine, also 3.000 Mark aus. „Das ist internationaler Standard“, sagte Zahlmeister Pfau, „der Mann hätte zwei Auszahlungskarten bekommen müssen.“

Einige Sozialhilfeempfänger mochten sich mit der neuen Maschine noch nicht anfreunden. „Mir ist das zu anonym“, sagte ein 30jähriger, „die Menschlichkeit geht verloren. Gerade darum geht es aber bei der Sozialhilfe.“ Für eine 44jährige Frau war der Schreck zunächst groß. „Wenn du das erstemal an so einen Automaten rangehst, bist du natürlich unsicher.“ Nachdem alles geklappt hat, findet sie das Gerät gut. Schließlich entfiele jetzt die Warterei vor der Kasse.

Sollte sich der Automat bewähren, wird der Service ab dem Sommer Zug um Zug auf alle Sozialhileempfänger ausgedehnt. 19.000 sind es insgesamt in Berlin-Kreuzberg. Gut möglich, daß die automatisierte Sozialhilfe bald Nachahmer findet: Mehrere Berliner Bezirke haben bereits Interesse signalisiert. Allerdings war bereits vor einigen Jahren im Ruhrgebiet ein ähnlicher Versuch gescheitert. Christoph Oellers