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"Islam is beautiful"

■ Was es bedeutet, wenn türkische Studentinnen Schleier tragen: Gespräch mit der Soziologin Nilüfer Göle

taz: Frau Göle, Ihr Buch, vieldiskutiert schon in der Türkei, erschien letztes Jahr in Deutschland, Titel: „Republik und Schleier“. Was verbirgt sich hinter diesem Titel?

Nilüfer Göle: Seit den achtziger Jahren wird der Schleier in der Türkei heftig diskutiert. Es ist vielleicht das wichtigste innenpolitische Thema überhaupt. Da sind zum einen die „Modernisten“, die den Schleier etwa an den Universitäten verbieten wollen; zum anderen gibt es die konfessionelle Bewegung, die eine Islamisierung der Türkei anstrebt. Besonders an den jungen, verschleierten Studentinnen macht sich die Diskussion fest. Denn sie bilden, ob man es glaubt oder nicht, den entscheidenden Motor in der islamischen Bewegung. Das ist ja gerade das Neue, nicht nur in der Türkei. Eine Analyse dieses Phänomens muß also, anders als die herkömmlichen politischen Erklärungsversuche, bei den Frauen ansetzen. Mir wurde das plötzlich klar, als ich merkte, was für ein Graben mich von diesen Frauen trennt, obwohl ich ja selbst eine Türkin und Muslimin bin, genau wie die neuen Islamistinnen, die zum Teil die gleiche akademische Ausbildung genießen, als ich sie kennenlernte. Ich spüre, daß sich in der türkischen Gesellschaft ein Bruch vollzieht. Ich selbst bin ja sozusagen ein typisches Kind des „Kemalismus“ und westlich, laizistisch erzogen worden.

Also gibt es in der Türkei vor allem zwei Extreme: streng islamisch oder im Sinne von Atatürks Reformen rein laizistisch, am Westen orientiert? Diese verschleierten Studentinnen scheinen in keines dieser Raster zu passen.

Der Türkei ist Atatürks Moderne in Form einer Verwestlichung verordnet worden. Jetzt versuchen die Menschen, ihre Identität wiederzufinden, ohne aber auf die westlichen Errungenschaften wie Technik, Fernsehen, Bildung, Beruf und so weiter verzichten zu wollen. Gerade das Engagement von Frauen aus der Bildungsschicht für den Islam gibt dem Thema in der Türkei politische Brisanz. Denn zu Atatürks Idealen der Verwestlichung gehörte die unverschleierte, berufstätige, möglichst auch blonde Frau. Sehen Sie sich mal die Reklame oder die Nachrichtensprecherinnen im türkischen Fernsehen an! Auch Ministerpräsidentin Tansu Çiller ist quasi die idealisierte Verkörperung des „Kemalismus“. Und nun kommen diese Islamistinnen, oftmals ebenfalls blondiert, und fordern das Recht, den Schleier zu tragen, gerade aus Protest gegen das Establishment, also die „kemalistische“ Türkei. Sie begreifen sich als besonders fortschrittlich und wehren sich vehement gegen jeden Verdacht, sie wollten das Zivilisationsrad zurückdrehen, im Gegenteil: Sie fordern mehr Toleranz.

Diesen Typus der „intellektuellen Islamistin“ kann man sich vielleicht in den Metropolen vorstellen, aber doch nicht in den Dörfern Zentralanatoliens oder in der Osttürkei?

Diese Bewegung findet tatsächlich ausschließlich in den Großstädten statt. Die Diskussion um das Verschleiern entstand in den Universitätscampus. Natürlich ist der Schleier ein Import aus der Provinz, aber seine politische Brisanz hat er im intellektuellen großstädtischen Milieu erhalten. Häufig sind die Islamistinnen Mädchen vom Land, deren Eltern viel invenstierten, um ihnen eine universitäre, das heißt säkulare und westlich orientierte Ausbildung zu ermöglichen. In den anonymen und verwestlichten Großstädten wie Ankara oder Istanbul suchen diese Frauen dann nach einer neuen Identität. Und wenn sie verschleiert sind, richtet sich die Aufmerksamkeit schnell auf sie, und sie fangen an, in Zeitungen zu schreiben und am politischen Leben ihrer Vereine teilzunehmen. Eines Tages werden sie zur intellektuellen Schicht gehören. Das hat also nichts mit dem klassischen Bild von der islamischen Hausfrau zu tun, die stets im Hintergrund zu bleiben hat.

Dann ist der weibliche Islamismus eine Revolte „von oben“?

Ja, genau. In meinem Buch mache ich Schluß mit dem Image der Islamisierung durch die armen Leute, der Unterprivilegierten und Außenseiter. Es sind vor allem junge Menschen, die sich nicht assimilieren wollten und, um sich von der Masse der westlich Auftretenden abzuheben, ihre eigene Bewegung entwickeln, ähnlich wie auch Studenten- oder Jugendbewegungen in Westeuropa. So nach dem Motto: „Islam is beautiful“.

Sozusagen die „Gegen-68er“?

Kein schlechter Vergleich, die paar jungen Männer mit den langen Haaren à la Mohammed erinnern tatsächlich an die Jesus-Renaissance in den Siebzigern. Diese Aktivisten sind auch nicht im eigentlichen Sinne konservativ, sondern kritisieren den heutigen Islam vielfach. Sie wollen zurück zu den Wurzeln des Islam, zu den Glaubenswahrheiten des Koran und so weiter. Daß sie dabei für einen anderen Islamismus ausgenutzt werden, machen sie sich oft nicht klar.

Ausgenutzt etwa von der islamistischen Refah-Partei von Baskani Necmettin Erbakan, die bei den Wahlen am 24. Dezember letztes Jahres in den Städten so großen Erfolg hatte?

Statt der herkömmlichen Wahlpropaganda schickte die Refah- Partei – eigentlich eher eine Sammelbewegung – Frauen zu Hausbesuchen, die unter dem Schleier modisch gekleidet waren. Als dann bemängelt wurde, daß gar keine Frauen auf den Kandidatenlisten standen, sagte der schlaue Erbakan, die Türkei sei eben noch nicht reif, verschleierte Frauen in der Politik zu akzeptieren. Sogar aus dem sozialdemokratischen Lager hat er Stimmen erhalten; auch konservative Wähler haben Refah ihre Stimme gegeben.

Ist aber der Kemalismus, Atatürks Doktrin von der straffen Verwestlichung und Säkularisierung der Türkei, im Schwinden begriffen?

Nein, auch der Kemalismus hat eine Art Renaissance. In den Siebzigern wurde er, wenngleich er zur selben Zeit Staatsräson war, von den linken Intellektuellen ideologisiert. Heute sind es vor allem bodenständige, junge Leute, vielfach auf dem Land, die wieder mit Mustafa-Kemal-Pasa-Plaketten herumlaufen, wie Atatürk eigentlich hieß.

Wie sollte denn die Türkei von der Europäischen Union behandelt werden?

Enge Beziehungen zur EU würden für Stabilität sorgen. Es wird ja in der Türkei viel diskutiert, an Runden Tischen, bei Podiumssitzungen, im Fernsehen. Aber die Westanbindung als Minimalkonsens, der jetzt noch zu haben wäre, würde die Lage entspannen. Natürlich betrachtet man auch neugierig, wie sich die EU selbst entwickeln wird, welche Rolle beispielsweise die Religionen spielen werden, ob es zu einem gewissen Universalismus kommen wird und so weiter.

Durch die Mernschenrechtslage und den Krieg in Kurdistan wird das bisweilen erschwert.

Viel hängt davon ab, ob sich die europäische Einigung nur auf Regierungsebene oder auch zwischen den diversen Regionen und ihren Bewohnern vollzieht. Die türkische Gesellschaft ist ja alles andere als homogen, und die Kurden sind nur ein Faktor neben den Aleviten, den strengen Muslimen und der Mehrzahl der laizistisch orientierten Türken, wovon wir ja sprachen.

Wie bewerten Sie selbst die Kurdenfrage?

Natürlich wurden in der Kurdenfrage viele Fehler gemacht, aber das Thema Islam wird glücklicherweise nicht – wie die Kurden – totgeschwiegen, sondern ist Teil der politischen Diskussion. Das könnte auch ein Modell für andere islamische Staaten sein, in denen der Fundamentalismus erwacht. Immerhin gibt es in der Türkei keinen nennenswerten islamischen Terrorismus; ich glaube, weil das Thema demokratisch behandelt wird. Die Kurden gelten bislang nur als militärisches Problem und spielen für die politische Auseinandersetzung keine Rolle, das ist der Fehler.

Aber das Ausland mißt da mit zweierlei Maß: In Sachen Islam wird ein kompromißloses Vorgehen gefordert, in der Kurdenfrage mehr Demokratie angemahnt. Und die westlich orientierte „Elite“ ist ja in vielen Ländern schnell dabei, für den westlichen Lebensstil demokratische Grundsätze über Bord zu werfen. Man denke nur an Algerien, wo das Militär 1991 die Wahlen unterbrach, um einen Sieg der Islamisten zu verhindern. Ähnlich war es auch beim Putsch in der Türkei 1971, da haben die türkischen Linksintellektuellen das Einschreiten der Armee bejubelt. Das wird in Zukunft anders sein. Interview: Nikolaus Nowak

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