■ Eine neue Managerelite rüttelt an den Grundfesten der deutschen Wirtschaft: Produktethos und soziale Verantwortung? Fremdworte. Arbeitsplätze? Uninteressant. Der Blick ist auf den Monitor gerichtet. Was zählt, ist der Stand an der Börse
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Eine neue Managerelite rüttelt an den Grundfesten der deutschen Wirtschaft: Produktethos und soziale Verantwortung? Fremdworte. Arbeitsplätze? Uninteressant. Der Blick ist auf den Monitor gerichtet. Was zählt, ist der Stand an der Börse

Machos an der Macht

Meine Herren: Wo steht unsere Aktie heute?“ Als Daimler-Chef Jürgen Schrempp diese Frage kürzlich auf einem Führungskräfteseminar seiner obersten Konzernspitze stellte, erhielt er keine befriedigende Antwort. „Dann hat er uns mächtig zusammengestaucht“, erinnert sich einer der Teilnehmer.

In der deutschen Managerelite weht der Wind der Veränderung. Die patriarchalisch geprägte, von Nationalsozialismus und Wiederaufbaustolz bestimmte Managergeneration, in der Ingenieursdenken, Produktstolz und ein selbstgefälliges Baden im Wohlgefühl wirtschaftspolitischer Gesamtverantwortung zur Grundausstattung gehörten, räumt seit einigen Jahren die Chefsessel für „harte Hunde“. So jedenfalls beschreibt Norddeutschlands IG-Metall-Chef Frank Teichmüller die Newcomer, denen Traditionen, Vaterland und das liebevolle Streicheln einer Maschine made in Germany piepegal sind.

Jürgen Schrempps erster Blick morgens im Büro gilt denn auch dem Reuter-Monitor, der online jede Zuckung der Daimler-Aktie registriert. Wo früher Marktstrategen, Visionäre und Techniker die Vorstandsflure beherrschten, sitzen, so erläutert Hamburgs IG- Metall-Boß Klaus Mehrens, „heute oft Finanzmanager und Controller“ am Ruder. Ingenieure, Juristen und Volkswirte sind out. Als Krisenmanager rekrutiert, gelingt es dieser Controller-Garde oft – nicht selten gestützt durch die Banken – die Führung eines Unternehmens auf Dauer zu übernehmen.

„Nacktes Profitstreben“ bestimme die internationalen Finanzmärkte, so Teichmüller. Das US-amerikanische Denken, das die Eigenkapitalrendite zur obersten und oft einzigen Unternehmensmaxime veredelt, sei auf dem Vormarsch. Internationale Anleger schauen nur nach den Zahlen: „Wer die meisten Arbeitsplätze vernichtet, gilt heute als vorbildlicher Unternehmer.“

Bayer-Finanzchef Helmut Loehr drückt sich etwas vorsichtiger aus: „Der Druck ausländischer Aktionäre auf die deutschen Unternehmen steigt.“ Immer mehr deutsche Unternehmen gehen dazu über, sogar vierteljährlich ihre Gewinne offenzulegen. „Wer amerikanische Anleger umwerben will, muß das machen. Die sind das von der Wall Street so gewöhnt“, erklärt der Sprecher der Frankfurter Börse, Stefan Lutz. Tatsächlich hat sich die Bedeutung der Geschäfte internationaler Anleger an der Frankfurter Börse in den vergangenen 15 Jahren verdoppelt. Heute werden 40 Prozent des Handels von internationalen Anlegern und Investmentgesellschaften getätigt. Die Hälfte der Banken, die auf dem Frankfurt Parkett mitspielen, sind internationale. Nicht zufällig reagierte BMW nervös, als der Spiegel vorgestern von fallenden Gewinnen berichtete. Die Konzernspitze warf dem Magazin vor, mit irreführenden Spekulationen die Finanzmärkte zu verunsichern und damit der gesamten deutschen Automobilindustrie zu schaden. Und: Der Kurs der BMW-Aktie rutschte noch am gleichen Tag um neun Mark auf 825. Die neuen Manager reagieren mit Beil und Skalpell auf derartige Unsicherheiten. Wurde in den 80er Jahren an integrierten Großkonzernen gebastelt, die die Vorteile von Synergie und Know-how-Verbund beschworen, wird heute ausgelagert und abgeschmolzen.

Die Reduktion auf das „Kerngeschäft“ ist Trumpf. Der Börsenkurs von Daimler-Benz steigt seit Monaten trotz der Milliardenverluste – und wegen des harten Arbeitsplatzabbaus. Hauptsache, die Rendite stimmt.

Die Beschäftigten vermögen auf solche Renditeerwartungen nur mit beißender Ironie zu reagieren. „Vielleicht dürfen wir morgen schon Joghurtbecher statt Flugzeuge bauen, vorausgesetzt, es rechnet sich“, hört man von deprimierten Airbusingenieuren in Hamburg-Finkenwerder. Teichmüller: „Wettbewerbsfähigkeit ist der Definitionsmacht der neuen Manager unterstellt. Verstand man früher darunter, ein Produkt am Markt erfolgreich zu verkaufen, so zählen heute oft allein Rendite- und Kursgesichtspunkte.“

Voller Zorn beschreibt Claus Wilde, Herausgeber der traditionsreichen maritimen Unternehmerpostille Hansa den Verfall der Sitten in einem Editorial: „Eigentum verpflichtet – diesem Grundsatz will offenkundig das führende Management der deutschen Wirtschaft kündigen.“ Ihn erregt, daß inzwischen florierende Traditionsunternehmen wie Hapag-Lloyd oder Siemens im großen Stil Arbeitsplätze vernichten, „nur weil sie noch ein paar Mark mehr machen können“. Wildes Mahnung: „In Frankreich wurde der Aufstand geprobt. Will man solche Zustände auch in dieser Republik?“ Florian Marten