: Demontage eines Zeugen
■ Menschenrechts-Kommitee: Scheinhinrichtungsopfer Joel Boateng wird mit „rechtswidrigen“ Methoden unglaubwürdig gemacht Von Marco Carini
Gezielte Indiskretionen aus den Reihen der Polizei, dubiose Ermittlungsmethoden gegen den Hauptbelastungszeugen, eine Hausdurchsuchung und eine Zwangsvorführung am Rande der Legalität: Die Ermittlungen im Fall Joel Boateng – dem einzigen bislang bekanntgewordenen Opfer einer „Scheinhinrichtung“ durch Hamburger Polizisten – treiben fast täglich neue Blüten. Am Dienstag erreichte die Ermittlungsarbeit der „Ordnungshüter“ dabei einen vorläufigen Höhepunkt.
Gegen 15.30 Uhr wird Joel Boateng von zwei Zivilfahndern in St.Pauli festgenommen. Obwohl der Ghanaer seit Tagen davon ausgeht, daß er rund um die Uhr observiert wird, soll er direkt vor den Augen der Polizei fünf Gramm gestrecktes Heroin verkauft haben. Doch weder das Geld noch Drogen werden bei dem 28jährigen nach seiner Festnahme gefunden.
Trotzdem wird die Nachricht vom Drogendeal des Ghanaer aus Polizeikreisen mit Windeseile der Springer-Presse zugetragen, die die Botschaft eilig verbreitet. Die Polizeipressestelle will es nicht gewesen sein. „Wir haben bewußt keine offizielle Erklärung gemacht, damit nicht der Eindruck entsteht, daß wir einen Nebenkriegsschauplatz eröffnen wollen“, erklärt Pressesprecher Werner Jantosch, bestätigt aber auf Nachfrage, daß Boateng „ganz eindeutig beim Dealen erwischt worden“ sei.
Die gezielte Indiskretion hat Methode: Die Glaubwürdigkeit des Ghanaers, dem nach eigenem Bekunden vor einem Jahr im Freihafen zwei Polizisten eine Pistole an die Schläfe gesetzt wurde, soll offenbar systematisch untergraben werden. Denn: Wer glaubt schon einem Dealer? Dabei ist die Tatsache, daß Boateng drogenabhängig ist und in der Vergangenheit auch Heroin verkauft haben soll, nicht neu. Michael Herrmann vom „Kommittee zur Verteidigung der Menschenrechte“: „Für uns war immer klar, daß die Scheinhinrichtungsopfer im Millieu der Drogenszene und nicht im konsularischen Corps zu finden sind“.
Doch der kurze Draht zwischen Polizei und Presse bleibt nicht der einzige Stolperstein des Tages. Zufällig findet die Verhaftung Boatengs genau eine halbe Stunde vor dem Termin statt, den die für die Aufklärung von Polizeistraftaten zuständige „Dienststelle für interne Ermittlungen“ (DIE) einen Vernehmungstermin mit Boateng angesetzt hatte. Obwohl Boatengs Anwalt, Johannes Santen, „begründet abgesagt“ hat, wird der Zeuge gegen seinen Willen in die DIE-Zentrale gebracht, wo zwei Staatsanwälte und ein Dolmetscher bereits auf ihn warten.
Zur gleichen Zeit durchsuchen Ermittler ohne jeden Durchsuchungsbefehl mit Hilfe eines Rauschgiftspürhundes die Unterkunft von Boateng in der Erichstraße. Und nicht nur die: Auch die angrenzenden Wohnräume Michael Herrmanns werden – ebenfalls ergebnislos – von inspiziert. Herrmann und einem Zeugen die Teilnahme an der „Besichtigung“ zeitweise verwehrt. Beides „eindeutig rechtswidrig“, weiß Herrmanns Anwalt Mathias Wisbar.
Für seinen Kollegen Santen drängt sich nach den Ereignissen hingegen „erneut der Verdacht auf, daß sich die Ermittlungen gegen Joel Boateng und nicht auf die Aufklärung der Scheinhinrichtungsvorwürfe richten“.
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