Leichnam mit Rosine in der Nase

■ Comics, ganz ohne „comic relief“ – eine Auswahl von Renée Frenchs „Grit Bath“-Bänden bei Jochen Enterprises

Abandon all hope ye who enter here.“ Mit diesem Satz beginnt Bret Easton Ellis' Roman „American Psycho“, der in den USA zu den umstrittensten Büchern der letzten Jahre gehörte. Erzählt wird die Geschichte eines Börsenmaklers, der sich als „serial killer“ entpuppt. Der erste Satz ist dabei nicht nur das Graffito, das der psychopathische Protagonist an einer Häuserwand sieht, sondern zugleich eine Warnung und Anweisung an den Leser.

„Gebt alle Hoffnung auf, Ihr, die Ihr hier eintretet!“ Das könnte auch der Leitsatz für Renée Frenchs Comicserie „Grit Bath“ sein. An die Stelle einer expliziten Warnung tritt ein Plüschkaninchen mit wulstiger Narbe auf der Brust, das mit scheelem Blick auf die kommenden Schrecken hinweist. Drei Nummern von „Grit Bath“ sind bisher in den USA erschienen, und jetzt hat der Berliner Verlag Jochen Enterprises eine Auswahl auf deutsch veröffentlicht.

French, die als „relativ frisch“ in der Comic-Szene gilt, erzählt in ihren Schwarzweißzeichnungen zwar nicht von durchgeknallten Yuppies, wohl aber von einer Welt, die abgrundtief böse ist. Und von Figuren, die fast ausnahmslos gemein und häßlich sind. Debile Gesichter mit lückenhaften Zahnreihen oder schweinchenhaft aufgestülpten Nasen bevölkern die Seiten, und oft geht French so nah an sie heran, daß keine Runzel, keine Schweißperle, kein Blutstropfen ausgespart bleiben.

Gleich die erste Geschichte, „Silktown“, führt tief hinein in die Abgründe einer Kleinfamilie, für die „white trash“ noch eine nette Umschreibung ist. Während Vater und Onkel sich im Keller an einem Tierdarm aufgeilen und sich dann gegenseitig einen runterholen, sitzen Claire, die Mutter, und Eve, die gerne etwas mit dem Sohn Gil hätte, auf einer zerschlissenen Couch. Claire ist die ins Fiese verkehrte Version der „all American beauty“ mit dreieckig gezogenen Brauen und Fingernägeln, die Krallen gleichen. Ganz sexuell fährt ihre Zunge in einen Eclair, und anschließend fragt sie Eve mit süßlichem Lächeln (tatsächlich klebt noch Sahne in ihrem Mundwinkel): „Bist du noch scharf auf meinen Sohn?“

Die düsteren Panoramen, die French ausbreitet, werden nur selten durch eine Spur von Komik aufgelockert. Wenn es etwas zu lachen gibt, schleicht sich gleich ein böser Beigeschmack ein – etwa in „Nasenfrucht“, einer kurzen Geschichte über eine Totenwache, bei der eine schielende Göre dem Leichnam eine Rosine in die Nase schiebt. Kinder sind bei French selten unschuldige Wesen, und das ist einer der Gründe, warum ihre Comics so beunruhigend wirken. In „Faustphobie“ zum Beispiel trifft sich eine Gruppe vorpubertierender Kids in einem finsteren Schuppen, um sich einem krassen Doktorspiel zu widmen. Detailreich zeigt eine Bilderfolge, wie die ständig an ihren Haaren knabbernde Carolanne ihre Faust in die Möse der Anführerin schiebt.

„Irgend jemand oder irgend etwas muß Renée French in früher Kindheit einmal sehr weh getan haben“, heißt es im Presse-Info zu „Grit Bath“. Eine Spekulation, die nichts erklärt – außer vielleicht, daß der Tabubruch in Frenchs Comics tatsächlich ratlos stimmt. Um der Verunsicherung Herr zu werden, verfällt man auf die Biographie und phantasiert ein traumatisches Erlebnis herbei. Wer aber wollte Bret Easton Ellis für einen Psychopathen halten, nur weil er über einen solchen schreibt? Nur eines ist sicher: Frenchs Comics tun weh. Cristina Nord

Renée French: „Grit Bath a 1“, Jochen Enterprises, 1996, 32 Seiten, 9,95 DM. Heute um 20 Uhr Signierstunde mit Renée French im Groben Unfug, Zossener Straße 32–33, Kreuzberg