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Tag der Sammerismen

■ Nach dem heftigen 0:2 gegen Ajax Amsterdam wurden bei Borussia Dortmund "deutsche Tugenden" beschworen

Dortmund (taz) – Er sprach von Deutschland. Der Unbeugsame, der Kämpfer beschwor die Tugenden, die er selbst so deutlich verkörpert wie sonst nur Lothar Matthäus. Doch als Matthias Sammer für das Rückspiel des Champions- League-Viertelfinales in Amsterdam Einsatz und Kampf („die deutschen Tugenden“) ankündigte und seiner Mannschaft noch einmal den größeren Zusammenhang („wir vertreten den deutschen Fußball“) deutlich machte, klang er weniger verbissen als sonst. War es, weil auch er mitschuldig am 0:2 gegen Ajax Amsterdam war? Sein Foul in der 66. Minute war blöd und sein zweites. Sammer sah die gelb-rote Karte, und für Borussia war das Spiel vorbei.

Damit fehlte der, der allein sich gegen den angeblich kriselnden Weltpokalsieger gewehrt hatte. Dahin waren die letzten zarten Hoffnungen, mit entschlossenem Kampf – quasi deutsch – endlich ins Spiel zu kommen. Denn zuvor war nur Sammer wutschnaubend dazwischengefahren, wenn die jungen Spieler von Ajax übermütig mit ihrer spielerischen Überlegenheit Borussia vorzuführen suchten. Energisch trieb er die Seinen an, die fast eine halbe Stunde lang paralysiert auf den Gegner starrten und offensichtlich keine Idee hatten, was zu tun war.

Doch geholfen hatte das nur in Ansätzen. Bodo Schmidt wirkte wie irrtümlich in ein Spiel auf solchem Niveau geraten, ähnlich wie der immerhin sehr bemühte Knut Reinhardt. Und Patrick Berger wäre – so niedlich, so verträumt – besser bei Take That aufgehoben gewesen. „Wir haben zu keiner Phase die Normalform gefunden“, befand BVB-Präsident Niebaum.

Mag sein, doch Ajax bewies Qualitäten, die dem Deutschen Meister seine Begrenztheiten darlegten. „Wenn es eng wird, verliert Dortmund den Überblick“, hatte Ajax-Trainer Louis van Gaal analysiert. Deshalb befahl er seine Spieler sehr weit zurück, und wahrlich, im geschickt eng gehaltenen Spiel verlor Borussia zumeist den Überblick. „Sie sahen zwar gefährlich aus, aber sie haben wenig Torchancen gehabt“, meinte Amsterdams Danny Blind. Und „wenig“ zu sagen war noch höflich. In der ersten Halbzeit beschäftigte Borussia Torwart van der Sar nach 35 Minuten zum ersten und einzigen Mal seriös – mit einem Freistoß von Berger. In der zweiten Halbzeit spielte Reuter eine große Chance heraus. Das war's.

Ohne Overmars, Litmanen und Frank de Boer war die Leistung von Ajax „nicht phantastisch, aber gut genug“ (Blind). Mehr noch als sonst spielten sie den afrikanischen Fußball, wie er nie von einer afrikanischen Mannschaft gespielt worden ist. Gesegnet mit allen Anlagen von Schönheit, die in Dortmund aber nur der überragende Edgar Davids einlöste. Deutsche Tugenden wirkten dagegen kaum, und im Vergleich einer der beiden besten deutschen Mannschaften in nicht bester Form gegen eine der besten Mannschaft der Welt in nicht guter Form wurde ein Klassenunterschied deutlich. Womit die in jeder Europapokalrunde fällige Relativierung des Jubeltaumels um den Bundesligafußball erledigt sein soll.

Matthias Sammer hatte am Ende auch weniger Deutschland denn Dortmund im Sinn. Dunkel dräuend orakelte er von „Lehren, die wir ziehen müssen und schon früher hätte ziehen müssen“, raunte von „konzentrieren auf Prioritäten“ und „Dingen, die gesagt werden müssen“. Was er damit meinte, wollte er dann aber auch nicht sagen, er wolle schließlich dem Trainer nicht vorgreifen. Da kreiste aufgeregt die auf derlei Konfliktstoffe spezialisierte Journaille, denn wohl nicht ohne Grund durfte sie hinter diesen Sammerismen schlagzeilenträchtige Ungereimtheiten in der Dortmunder Mannschaft vermuten. Und so werden wir wohl bald erfahren, daß irgendein Dortmunder Spieler einen anderen ziemlich doof findet. Christoph Biermann

Ajax Amsterdam: Van der Sar - Reiziger (85. Scholten), Blind, Silooy - George, Kluivert, Davids, Ronald de Boer - Wooter (46. Musampa), Kanu, Bogarde

Zuschauer: 35.800; Tore: 0:1 Davids (8.), 0:2 Kluivert (83.)

Gelb-rote Karte: Sammer (66.) wegen Foulspiels

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