■ Mit dem Bruttoinlandsprodukt auf du und du: Einkommensschere
Wiesbaden/Bonn (dpa/APD) Günter Rexrodt, Wirtschaftsminister in Bonn, braucht nie lange, um Zahlen zu ignorieren. Für ihn stand gestern schon gleich nach dem Frühstück fest, daß 1996 keine Rezession drohe, die deutsche Wirtschaft befinde sich lediglich in einer „vorübergehenden Wachstumsschwäche“. Nur daß die Flaute schon recht lange anhält. Gestern morgen hat das Statistsche Bundesamt seine Anlaysen für das Jahr 1995 veröffentlicht. Danach wurden im Schlußquartal 0,5 Prozent weniger Güter und Dienstleistungen produziert als in den drei Monaten zuvor. Und schon zwischen Juli und September hatte die deutsche Wirtschaft im Vergleich zum Vorquartal kein Wachstum mehr zustande gebracht.
Wie Rexrodt findet auch Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer, diese „Schwächeperiode“ gehe nun „langsam zu Ende“. Dafür fehlen freilich alle Anzeichen. Im Vergleich zum letzten Vierteljahr 1994 war das deutsche Bruttoinlandsprodukt zwar auch 1995 noch um ein Prozent gewachsen. Doch eben dieser Wert zeigt für die Statistiker eine stark nachlassende Konjunktur. Für das Gesamtjahr 1995 errechnen sie ein Wachstum von real 1,9 Prozent.
Private wie öffentliche Investoren hielten sich zurück. Die Bruttoinvestitionen sanken im vierten Quartal 1995 um 7,5 Prozent. Vorsichtig verhielten sich auch die privaten Verbraucher, die nur 1,4 Prozent mehr ausgaben, obwohl ihr verfügbares Einkommen um 3,6 Prozent stieg. Die öffentlichen Haushalte gaben 3,2 Prozent mehr aus, was unter anderem auf die mit 10,2 Prozent überdurchschnittlich angewachsenen Verteidigungsausgaben zurückführen ist.
Auch im Osten Deutschlands ist der Nachholprozeß gebremst. Das Bruttoinlandsprodukt wuchs hier im vierten Quartal 1995 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um real vier Prozent – nach 6,7 im ersten, 6,1 im zweiten und 5,6 Prozent im dritten Quartal.
Der Westen legte im letzten Quartal 1995 im Vergleich zum Vorjahr nur 0,7 Prozent zu, im ersten Quartal waren es noch 2,6 Prozent, im zweiten 1,9 und im dritten 1,3 Prozent.
Doch nicht alle trifft die schleichende Rezession gleich. Das Volkseinkommen lag mit 690,35 Milliarden Mark zwar durschschnittlich um 3,4 Prozent höher als im vierten Quartal 1994. Aber abhängig Beschäftigte haben nur 3,1 Prozent mehr verdient, die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen dagegen nahmen um 4,5 Prozent zu.
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