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So stell' ich mir ne Politikerin vor

■ Bürgerschafts-Abgeordnete zu Besuch im Mädchenparlarment

So ein dankbares Publikum wie auf dem Mädchenparlarment in Tenever hat (auch-) Frauensenatorin Tine Wischer (SPD) wohl eher selten: Die etwa 300 Mädchen klatschen in die Hände, johlen und trampeln mit den Füßen auf den Steinboden als die Politikerin Freitag mittag die Bühne im Haus der evangelischen Gemeinde betritt. Viel zu sagen hat die Senatorin nicht: „Ich freue mich, daß ich heute hier bei Euch bin. Ich finde es schön, daß ihr für die Gleichstellung von Frauen und Mädchen kämpft. Damit kann man nicht früh genug anfangen.“ Sie habe schon gehört, daß die Mädchen so engagiert seien, daß sich die PolitikerInnen später „warm anziehen“ müßten. Außer Tine Wischer sind Elke Kröning (AfB), Silke Striezel (CDU), Barbara Wulf (SPD), Maria Spieker (Grüne) und Karoline Linnert (Grüne) ins Mädchenparlament gekommen. „Aber Ihr seid heute diejenigen, die zu reden haben“, schließt Tine Wischer und setzt sich auf den Boden zwischen die Mädchen.

Und die haben den Politikerinnen eine ganze Menge zu sagen: Was sie wollen und was ihnen stinkt, haben sie mit bunten Filzstifen auf lange Papiertransparente geschrieben: Die Jungs sind zu laut, die Erhöhung der Kindergartengebühren ist ungerecht, Bundeskanzler Kohl ist doof und Genscher auch. Die Mädchen wollen jetzt mehr Räume für sich und später einen sicheren Arbeitsplatz. Mädchenspezifische Themen sollen in den Schulen aufgegriffen werden. Mehr Jobs für alleinerziehende Mütter stehen ganz oben auf der Wunschliste der Mädchen – so wie zuverläßige Väter und Freunde.

Während die Mädchen ihre Forderungen schauspielernd, tanzend und mit Trommelwirbel untermauert, vortragen, sitzt Tine Wischer auf dem Fußboden und lächelt. Als sich das Programm dem Ende zuneigt, kommt ein Mann auf die Bühne. Ein Pfeifkonzert ertönt. Doch da muß der Sozialpädagoge durch. An ihm und seinem Kollegen bleibt die Mädchenarbeit im Jugendfreizeitheim Oslebshausen hängen. Die Sozialpädagogin, die sich bisher um die Mädchen gekümmert hat, ist der Sparwut des Senats zum Opfer gefallen. Die Mädchen sind traurig und wollen, daß „Charly“ alias Ann-Kathrin Bumb zurückkommt. Nach der Veranstaltung stürmen sie auf Tine Wischer zu und umringen die Senatorin. „Mir blutet doch auch das Herz, wenn ich das alles höre. Aber ich habe einen Haushalt und den muß ich verantworten“, sagt Tine Wischer lächelnd und geht. „Das geht ins eine Ohr rein und ins andere wieder raus“, schimpft Jutta Martensen, Mutter zweier Töchter, die gern in die Mädchengruppe zu „Charly“ gegangen sind. „Wenn es keine Mädchengruppe mehr gibt, gehen die Kinder da nicht hin. Dann landen die auf der Straße. Und was dann passiert, können sie sich ja vorstellen. Gucken Sie sich das Viertel doch mal an.“ Enttäuscht will die Gruppe den Saal verlassen, als sie von Barbara Wulff aufgehalten wird. „Warten Sie mal. Ich bin im Landesjugendhilfeausschuß. Geben Sie mir doch mal die Erklärung. Ich kümmere mich um die Sache.“ Ein Mädchen strahlt. „So stell' ich mir ne Politikerin vor.“ kes

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