: „Soldaten sind immer Mörder.“ Wie bitte?
■ 1933 stellte sich Josef Goebbels schützend vors deutsche Militär
„Aus den Gräbern von Flandern und Polen stehen zwei Millionen deutsche Soldaten auf und klagen an, daß der Jude Toller in Deutschland schreiben durfte, das Heldenideal sei das dümmste aller Ideale. Zwei Millionen stehen auf und klagen an, daß die jüdische Zeitschrift Weltbühne schreiben durfte: ,Soldaten sind immer Mörder‘, daß der jüdische Professor Lessing schreiben durte: ,Unsere Soldaten sind für einen Dreck gefallen‘ ...“
So geiferte Josef Goebbels am 1.4. 1933 vor Partei-, SA- und SS-Funktionären, und live über alle Radiosender. An diesem Tag hatte sein Reichspropagandaministerium die Arbeit aufgenommen. Goebbels-Biograph Ralf Georg Reuth: „Sein anschließender Appell, an ,unsere stolze Mission‘ zu glauben, wurde noch am selben Tag umgesetzt.“
Der 1.4. 1933 war der Tag des von Goebbels initiierten, von Hitler verordneten „Boykotts aller jüdischen Geschäfte in Deutschland“; er brauchte und mißbrauchte das Tucholsky-Zitat, um die ersten staatlich verordneten Mißhandlungen und Verschleppungen zu rechtfertigen, um das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ (7.4. 1933) durchzupeitschen, das „alle Nichtarier“ vom öffentlichen Dienst ausschließen sollte. Er brauchte es so dringend, daß er hineinlog, was heute nur suggeriert wird: „...immer Mörder“, habe Tucholsky formuliert.
63 Jahre später hat die Bundesregierung eine politische Justizministerin gegen einen beflissenen Justitiar ausgetauscht, der den Begriff des Liberalismus auf neue Rekordbreite dehnt: Beim Asylrecht etwa erklärt Edzard Schmidt-Jortzig im August 1995 in der taz: „Wenn das Bundesverfassungsgericht den Asylkompromiß verfassungswidrig nennt, haben wir automatisch die alte Rechtslage. Und das wäre in meinen Augen eine Regelung, mit der (wir) leben können.“ Drei Monate drauf das Gegenteil: „Wenn der Asylkompromiß kippt, dann müssen wir das Individualrecht ganz abschaffen.“ (Stern 12/95).
Wieder zwei Monate später, nach seiner Ernennung, hat er gar keine Meinung mehr: „Sie bringen mich nicht auf dieses Glatteis.“ („ZAK“ 2/96). Und ebenso zum Lauschangriff: dagegen, weiß nicht, dafür – binnen Wochen. Und schließlich das „Mörder-Zitat“: „keine Lex Bundeswehr“ und „doch eine“ binnen einer Woche. Es fehlt nicht mehr viel, und auch die FDP hat eine Scheidung zu vermelden: „Wegen unüberbrückbarer Differenzen trennen sich Schmidt und Jortzig.“
Nicht für jedes Goebbels-Zitat kann man die heutige deutsche Politik verhaften, auch wenn's reizt: „Führer sieht ganz klar: Vereinigte Staaten von Europa unter deutscher Führung. Das wäre die Lösung. Viele Jahre oder Jahrzehnte noch daran zu arbeiten. Aber ein Ziel!“ – notiert er am 9.6. 1936. Und es ist keinem der an der gestrigen „Lex-Bundeswehr-Debatte“ Beteiligten auch nur der geringste antisemitische Antrieb zu unterstellen.
Die Parallele liegt auf der Ebene, daß der Pazifismus verunglimpft und daß das Tucholsky-Zitat für billigste, unbillige tagespolitische Zwecke mißhandelt wird. Gestern jammert die Wehrbeauftragte über den neuen Rekord an Kriegsdienstverweigerern, heute steht ein Liberaler demütig bereit, den Kern einer Gewissensentscheidung strafbar zu stellen. Carl von Ossietzky wurde im Juli 1932 wegen des „Mörder-Zitats“ freigesprochen, die Verteidigung brachte vor, selbst Kriegsheld Hindenburg habe von einer „Ansichtssache“ gesprochen.
Verurteilt worden war der Herausgeber zuvor in anderer Sache, wegen „Landesverrats“. Ihn juristisch zu rehabilitieren, weigerte sich 1991 ein Berliner Kammergericht, 1992 der Bundesgerichtshof. Nobelpreisträger Elie Wiesel zeiht dieser Tage Kanzler Kohl der Untätigkeit: „Für deutsche Richter ist Ossietzky nach wie vor schuldig ... In ihren Augen ist er nach wie vor ein Krimineller.“ Die SPD bringt diesen Monat einen Antrag in den Bundestag, der die Wiederaufnahme des Verfahrens ermöglichen soll.
Schmidt-Jortzig wird, wenn's ihn nicht vorher zerreißt, dazu gediegene Rechtsauskunft geben. Mal schauen, wer heute in Deutschland so alles aus den Gräbern aufstehen darf. Die Nation ereifert sich aber eher über den albernen Zitatenstreit. Reuth, der das beziehungsreiche Goebbels-Zitat ausgrub und in die Biographie einbrachte, wechselte inzwischen von der FAZ zu Bild. Dort kommentiert er regelmäßig; ich schlage vor: Morgen die neue „Lex Bundeswehr“. Friedrich Küppersbusch
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