■ Schöner Leben: Lesen leicht gemacht
Keine Angst: Sie bleiben verschont von einem weiteren kulturkritischen Erguß zum Thema die bösen neuen Medien machen Abendland kaputt, essen Seele auf. Geschenkt, daß es hierzulande auch auf dem platten Land mittlerweile so viele TV-Kanäle gibt wie in den USA bloß in den Metropolen. Nur wenig Worte auch darüber, daß so mancher „kleine Mann“ mittels time management zum vielverlangten Individuum mutiert. Will sagen: Weil er oder sie keine Zeit hat zum Fernsehen, gilt es, den Videorecorder zu programmieren, der das Versäumte bis Grabesfrist und länger aufbewahrt. Ein Teufelskreis: Wo ist die Zeit, um sich all die Konserven reinzuziehen? Häßlich türmen sich Videokassetten im Wohnzimmer, wo schon – ebenso häßlich – Unmengen CDs sich stapeln und verstaubte Tonkassetten ohne geringste Aussicht auf Findererfolg nach ihrer Verpackung schreien. Technik-Trash, Rudis Reste-Rampe-Feeling im trauten Heim. Das muß nicht sein.
Es gibt doch Video-Buchhüllen, um die Kassetten einzudeckeln. Sehen aus wie schweinsledern gebundene Folianten aus besseren, mindestens 50er-Jahre-Zeiten. Beachtlich dick auch, so um die 300, 400 Seiten scheinen die Bände zu haben. Wunderbar stapelbar, hoch oder breit. Machen was her. Bloß was? Wer will die Dinger haben, die in den Großmärkten en gros verkauft werden? Wenn dem Gesetz von Angebot und Nachfrage zu trauen ist, einige! Die dunkel ahnen, daß die klobigen Kassetten einfach nicht von ihrem Schmuddelimage loskommen. Und bei denen irgendwie der Trend zum Zweitbuch geht. Und hat man nicht ein kleines Stück Lesekultur gewissermaßen hintenrum und mit diffus schlechtem Gewissen erworben? Nicht gemeint ist die Lesekultur des Scanners, der den VPS-Strichcode aus den Programmzeitschriften liest! Plötzlich steht in der Schrankwand doch geduldig Weisheit an Weisheit, Roman an Roman. Das beruhigt. Auch wenn mal Besuch kommt. Sieht besser aus als bloß das Telefonbuch. Man darf bloß nicht zu dicht rangehen. Da steht's dann eingraviert: Video. Aber das schickt sich ja auch nicht, als Besuch, in der Schrankwand rumzuschnüffeln. Alexander Musik
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