piwik no script img

Antisemitische Stimmungsmache

„Focus“ wirft der Jewish Claims Conference vor, für massenhaften Leerstand in Berlin verantwortlich zu sein – zu Unrecht. Die Organisation will nun Beschwerde beim Presserat einlegen  ■ Von Christoph Seils

Am Anfang dieser Geschichte stand ein Artikel jenes Münchner Nachrichtenmagazins, das seinen Lesern „Fakten, Fakten, Fakten“ verspricht, in diesem Fall jedoch hauptsächlich Entstellungen und Unwahrheiten lieferte. „100 Geisterhäuser“ mit 3.000 leerstehenden Wohnungen will Focus kürzlich in den Bezirken Prenzlauer Berg und Mitte entdeckt haben und bezichtigte vor vierzehn Tagen die Jewish Claims Conference (JCC) als den Schuldigen.

Tatsächlich hat die Organisation gut die Hälfte der 33.000 Rückübertragungsansprüche von Nazi-Opfern in Ostberlin gestellt. Denn die in den USA ansässige Conference vertritt weltweit die Interessen von durch Nazis ermordeten Juden. Ein Großteil der beanspruchten Grundstücke wird sie an die Erben der ehemaligen jüdischen Besitzer weitergeben. Die Jewish Claims Conference schätzt, daß sie letztendlich rund 500 Grundstücke von ermordeten Juden behalten wird, bei denen es keine Erben mehr gibt. Es wird allerdings noch bis weit ins nächste Jahrtausend dauern, bis alle Nachkommen von Nazi-Opfern ihr Eigentum rechtskräftig zurückerhalten haben oder anderweitig entschädigt worden sind.

Obwohl die JCC allein schon deshalb nicht für Leerstand in Häusern verantwortlich sein kann, weil ihr diese nicht gehören, suggerierte Focus, die Interessenorganisation lasse in den Bezirken Mitte und Prenzlauer Berg Häuser leer stehen. Die Zeitung zitiert einen „Insider“, die JCC wolle „zurückgegebenes Grundeigentum“ so schnell und so gewinnbringend wie möglich „losschlagen“ und dies sei am leichtesten bei „leerstehenden, abbruchreifen Objekten“.

Als Kronzeugin präsentiert das Münchner Heft die CDU-Bundestagsabgeordnete Wilma Glücklich, die sich bei den Bundestagswahlen 1994 im Wahlkreis Mitte/Prenzlauer Berg erfolglos um ein Direktmandat beworben hatte. Kurz vor den Abgeordnetenhauswahlen im letzten Oktober hatte Wilma Glücklich gemeinsam mit Bezirkspolitikern von CDU, SPD und den Bündnisgrünen die „Instand-Wohnen-Initiative“ gegründet.

Focus berichtete nun, Glücklichs „Berliner Kiez-Initiative“ sei auf „Crashkurs“ gegen die „einflußreiche“ JCC. Aber nicht nur, daß die JCC dabei für den Wohnungsleerstand verantwortlich gemacht wird. Bei zwei der drei abgebildeten Beispiele hat die JCC gar keinen Rückübertragungsanspruch angemeldet, im dritten Fall gibt es zwar zwei Anträge des JCC, aber auch einen Rückübertragungsanspruch von Nichtjuden.

Doch die schlechte Recherche und falschen Behauptungen des „Fakten-Magazins“ setzen sich noch weiter fort. In den leerstehenden Häusern in den Bezirken Mitte und Prenzlauer Berg, deren Rückübertragung von der JCC beantragt wurde, stehen nach Auskunft von Hartwig Dieser vom „Koordinationsbüro zur Unterstützung der Stadterneuerung“ nicht 3.000, sondern lediglich 491 Wohnungen leer. Und der Beseitigung von Leerstand in dafür eigens aufgelegten Programmen habe sich die JCC sowieso nicht in den Weg gestellt.

Wie das Magazin zu seinen Behauptungen kommt, bleibt unklar. Bundestagsabgeordnete Wilma Glücklich versicherte jedenfalls auf Anfrage, von Gegensätzen oder Streit zwischen ihrer Initiative und dem JCC könne keine Rede sein.

Die JCC macht kein Geheimnis daraus, daß sie später mit rückübertragenen Grundstücken und Immobilien einen „möglichst hohen Verkaufserlös“ erzielen will – um mit dem Geld Holocaust-Opfer in aller Welt zu unterstützen. Nach der „verweigerten Wiedergutmachung durch die DDR“, betont die JCC, sei es dafür längst an der Zeit.

Soweit wie möglich versucht die JCC, beim Verkauf der Immobilien in Zusammenarbeit mit dem Senat und den Bezirken nach sozialverträglichen Lösungen zu suchen und die Belange der Mieter zu berücksichtigen. So bietet die JCC Mietern in den Sanierungsgebieten Ostberlins an, ihre Häuser gemeinschaftlich zu erwerben. In mehreren Fällen stehen Hausgemeinschaften in Kontakt mit der JCC. In der Fehrbelliner Straße konnte die Selbstbaugenossenschaft ein Haus übernehmen, obwohl ein anderer Bewerber ein höheres Angebot machte. In den Sanierungsgebieten ist die JCC beim Verkauf ohnehin an den Verkehrswert gebunden.

Inzwischen warf die JCC Focus- Chefredakteur Helmut Markwort in einem offenen Brief vor, „ebenso falsch wie verleumderisch“ zu berichten. In dem Beitrag würden Behauptungen aufgestellt, „die unsachlich sind und den Eindruck erwecken müssen, Focus beteilige sich an einer antisemitischen Stimmungsmache“. In den nächsten Tagen entscheidet die JCC darüber, ob sie beim Deutschen Presserat eine förmliche Beschwerde einreicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen