: Arbeitszeitverkürzung ohne vollen Lohnausgleich
■ Der Vorsitzende der DAG, Roland Issen, zur Zukunft des Bündnisses für Arbeit
taz: Zerläppert das Bündnis für Arbeit?
Roland Issen: Ich bin nicht so pessimistisch. Was den Abbau von Überstunden betrifft und die Nutzung dieses Potentials für Neueinstellungen, gibt es eine Chance, doch noch zu Ergebnissen zu kommen. Es gibt inzwischen eine Regionalisierung der Bündnisse für Arbeit, auch die Landesregierungen melden Vorstöße an ...
Die verkaufen ihre ganz normale Beschäftigungsförderung als „Bündnis“. Mal konkret: Demnächst stehen Tarifverhandlungen an. Was bringt die DAG ein?
Wir haben für die Tarifverhandlungen im Einzelhandel vorgeschlagen, daß ein Fonds gegründet werden soll, in den die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber einen Beitrag einzahlen. Wir haben gesagt, daß wir einen Teil der Gehaltserhöhungen als Beitrag der Arbeitnehmer in diesen Fonds einbringen, um daraus die Übernahme von Ausgebildeten zu finanzieren oder die Bezahlung für die Altersteilzeit aufzustocken.
Die Arbeitgeber wollen aber ihrerseits keinen Beitrag dazu leisten. Die jammern doch jetzt schon über die Lohnnebenkosten.
Dies ist Sache der Tarifverhandlungen. Die Alternative zum Fonds wäre, auch über den Weg von Tariföffnungsklauseln Beschäftigung zu sichern.
Wie soll das laufen?
Nehmen wir mal an, wir würden eine Gehaltserhöhung vereinbaren von drei Prozent. Dann würden wir sagen, die zwei Prozent sind für alle obligatorisch, die müssen auch ausbezahlt werden. Ob dann zur Sicherung von Beschäftigung ein Teilbeitrag von einem Prozent eingesetzt werden kann oder ebenfalls bar gezahlt wird, das müßten dann die Betriebsparteien vor Ort unter Beteiligung der Gewerkschaften entscheiden.
Stehen die Gewerkschaften mit dem Rücken zur Wand?
Es gibt doch eine Flucht aus dem Flächentarifvertrag. Einmal durch das Aufkündigen der Mitgliedschaft von Firmen in ihren jeweiligen Arbeitgeberverbänden. Oder daß man am Tarifvertrag vorbei zwischen Unternehmensleitung und Betriebsräten besondere Regelungen trifft. Das ist doch schon längst auf dem Vormarsch. Da ist auch ein Stück Unehrlichkeit in der öffentlichen Diskussion. Nicht zu sagen, daß man dies am Ende nicht verhindern kann, weil wir relativ starre Systeme haben.
Im Osten halten sich noch weniger Arbeitgeber an Tarifverträge.
In den neuen Ländern gibt es eine Entwicklung außerhalb der Tarifverträge, die wir schon seit mindestens zwei Jahren zu unserem Verdruß beobachten. Den Betriebsräten dort steht das Wasser bis zum Hals, wenn sie Vereinbarungen schließen, um Entlassungen zu verhindern.
Demnächst beginnen die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst. Die ÖTV hat in Bremen und Delmenhorst für die Verkehrsbetriebe einen entsprechenden Tarifvertrag abgeschlossen: eine Nullrunde für dieses Jahr, dafür sichere Jobs bis 1999. Ein Modell für die DAG?
Wir müssen in den Tarifverhandlungen schon sicherstellen, daß zumindest die Preissteigerungsrate ausgeglichen wird. Das ist erforderlich, um auch von der Nachfrageseite, der Kaufkraft her, nicht kontraproduktive Effekte für die Konjunktur zu erzeugen.
Wirtschaftsexperten meinen, in den kommenden Jahren werde es auf jeden Fall reale Lohnsenkungen geben müssen, um mehr Jobs zu schaffen.
Wir werden unsere Probleme nur lösen können, wenn wir zu mehr Beschäftigung kommen. Dazu gehört, die Wachstumskräfte zu stärken. Dazu gehört aber auch eine weitere Verkürzung der Arbeitszeit, nicht unbedingt mit vollem Lohnausgleich. Wir müssen zu einer weiteren Verkürzung kommen, denn auch Wirtschaftsvertreter behaupten nicht mehr, daß wir die Arbeitslosigkeit allein durch Wachstum abbauen können. Interview: Barbara Dribbusch
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