: „Wir brauchen einen sehr, sehr kühlen Kopf“
■ Für Joschka Fischer, Fraktionssprecher der Bündnisgrünen, hätte ein vorzeitiges Ende der Düsseldorfer Koalition schwerwiegende Konsequenzen – für die Grünen wie für die SPD
taz: Noch Anfang vergangener Woche haben Bonner Grüne an die nordrhein-westfälische SPD appelliert, im Konflikt um den Landeshaushalt Angebote zu machen. Die SPD hat sich nicht bewegt – die Grünen müssen sich bewegen. Wie schlimm ist die Niederlage?
Joschka Fischer: Das ist keine Frage von Sieg und Niederlage. Es war von vornherein klar, daß es mit der SPD sehr schwierig werden würde. Die Grünen wußten, daß sie einen langen Atem und Steherqualitäten brauchen. Das Verhalten der SPD ist rational nur noch sehr schwer nachvollziehbar. Unsere Leute brauchen jetzt einen sehr, sehr kühlen Kopf.
In zwei Wochen wird in Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gewählt. Am kommenden Sonntag entscheidet der nordrhein-westfälische Landesparteitag der Grünen über den Fortbestand der Düsseldorfer Koalition. Welches Verhalten der Delegierten wird bei den drei Landtagswahlen honoriert werden?
Ich habe den Delegierten in Düsseldorf öffentlich keine Ratschläge zu geben. Sie entscheiden das allein. Klar ist, daß die Beendigung von Rot-Grün in Düsseldorf schwerwiegende Konesequenzen für beide Seiten hätte – für die Grünen und für die SPD.
Teile der NRW-Grünen haben Sie selbst noch vor nicht allzulanger Zeit als „Sofortisten“ gescholten, als unfähig zum Kompromiß. Heute gilt das nicht mehr?
Nein. Die Entwicklungen sind weitergegangen. Die Dinge haben sich sehr verändert, seit die Grünen wieder in den Bundestag gekommen sind und die Grünen in Düsseldorf sich zur Regierungsbeteiligung entschlossen haben. Innerparteiliche Kontroversen sind notwendig, damit sich die Partei insgesamt weiterentwickelt. Aber ich finde, die Grünen in Nordrhein-Westfalen – Linke und Realos gemeinsam – machen das alles andere als schlecht. Und das unter sehr schwierigen Umständen.
Höchstes Lob von Joschka Fischer. Die NRW-Grünen sind also ohne Fehl und Tadel?
Wenn eine grüne Landespartei zum erstenmal an einer Regierung beteiligt wird, dann ist das immer auch ein Lernprozeß, in dem man sich auf neue Bedingungen erst einstellen muß. Das haben wir bereits in Hessen erlebt, in Berlin, Niedersachsen, Bremen und in Sachsen-Anhalt. Und das Verhalten der SPD in Nordrhein-Westfalen ist höchst ambivalent. Sie sagt, daß sie die Koalition will, verhält sich aber andererseits so, als ob sie diese nicht will – eine typische Double-bind-Situation. Die Frage, wie Rot-Grün funktionieren soll, ist im Moment deshalb keine Frage, die sich zuerst an unsere Leute richtet.
Die nordrhein-westfälischen Grünen haben doch der SPD Instrumente in die Hand gegeben, einen Ökonomie-Ökologie-Konflikt zu inszenieren ...
Was bitte ist an den umstrittenen Projekten Ökonomie? Was ist an dem Bau einer Halle auf dem Flughafen Dortmund Ökonomie, was ist an dem weiteren Autobahnbau Ökonomie? Der umweltfreundliche und schnelle Ausbau der Deutschland-Mitte-Strecke der Bahn von Dortmund über Paderborn nach Kassel und weiter nach Erfurt wird hingegen ganz wesentlich zur Lösung der Probleme in Ostwestfalen beitragen. Da geht es um Ökonomie und Ökologie. Statt dessen wird von der SPD der Ausbau des Flughafens Dortmund zur wirtschaftspolitischen Zentralaufgabe erklärt. Das ist Politik von gestern.
Ist die SPD nicht auch deshalb so hart geblieben, weil sie sich als Partei präsentieren will, die unbedingt um Arbeitsplätze kämpft?
Nein. Man hätte die ganze Sache auch ganz anders angehen könne. Wir diskutieren hier über zwei Dinge: über die Sachfragen und über den Umgang des größeren mit dem kleineren Koalitionspartner. Mir scheint, inzwischen ist die zweite Frage die wichtigere, und daran ist nun einmal das Verhalten der NRW-SPD schuld. Man kann selbst kleinere Konflikte zu existenzbedrohenden Krisen machen, wenn man den kleineren Partner in einer Weise behandelt, die beim besten Willen nicht hinzunehmen ist.
Also kein Grundsatzkonflikt von Ökologie und Ökonomie?
Den sehe ich nicht. Auch für die Grünen in Nordrhein-Westfalen gilt, daß wir die Schaffung von Arbeitsplätzen ganz oben ansiedeln – allerdings in Verbindung mit dem ökologischen Umbau. Ich behaupte, daß man all diese Fragen sachlich wird lösen können. Das setzt allerdings einen anderen Umgang mit dem kleinen Partner voraus.
Kann sich ein ähnlicher Konflikt nicht in jeder rot-grünen Regierung wiederholen, weil die Kompetenz der Grünen eben in der Ökologie und nicht in der Ökonomie liegt. Weil sie noch keine Wirtschaftskonzepte anbieten können, die durchgerechnet sind?
Hat denn die SPD Angebote, die sie durchgerechnet hat? Und die CDU? Ich wundere mich immer über diese Fragen. Diejenigen, die angeblich von Wirtschaft etwas verstehen, haben in Berlin ein ganzes Bundesland in den Bankrott geführt. Baden-Württemberg ist unter einer großen Koalition abgestürzt. Die FDP hat seit Jahren abgedankt in der Wirtschaftspolitik. Ich weiß, daß wir intern noch Klärungsbedarf haben. Aber wenn ich das mit den anderen Parteien vergleiche, dann sehe ich überhaupt keinen Anlaß, uns die Kompetenzfrage zu stellen.
Sie selbst haben Ihre Partei aufgefordert, in der Wirtschafts- und Finanzpolitik erwachsen zu werden. Was ist das Profil grüner Sozial- und Wirtschaftspolitik? Jürgen Trittin sagt, es gibt kein Standortproblem. Die einen wollen mehr Geld ausgeben, die anderen wollen vorbildlich sparen ...
Das sind Debatten, wie sie vor dem Mainzer Parteitag am vergangenen Wochenende geführt wurden. In einer diskutierenden Partei ist dies eine Selbstverständlichkeit. Der Parteitag hat einen sehr guten Rahmenbeschluß gefaßt, innerhalb dessen wir jetzt weiterarbeiten. Wenn wir Spielräume für Reformen eröffnen wollen, und das wollen wir, dann müssen wir eben auch Finanzspielräume eröffnen, damit wir die Reformen finanzieren können. Interview: Hans Monath, Bonn
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