: Wieder Anstieg der registrierten Kriminalität
■ Kriminalitätsstatistik 1995: 580.829 Straftaten. Bundesweit belegt Berlin Platz 3
Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) hatte auf der letzten Plenarsitzung des Abgeordnetenhauses Ende Februar noch verkündet, daß es „dank der erfolgreichen Arbeit der Berliner Polizei“ gelungen sei, „den nach der Wiedervereinigung zunächst zu verzeichnenden rasanten Kriminalitätsanstieg zu stoppen“. Doch die gestern vorgestellte Kriminalitätsstatistik widerspricht ihm. „Mit 580.829 erfaßten Straftaten ist für 1995 der höchste absolute Stand der registrierten Kriminalität nach der Vereinigung eingetreten“, teilte Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) mit. Nachdem die Zahlen 1994 rückläufig waren, ist 1995 ein Anstieg um 5,4 Prozent zu verzeichnen. Schönbohm, der gestern dem Innenausschuß des Abgeordnetenhauses die neuesten Zahlen vorstellte, betonte, daß Berlin trotz der Zunahme „keine Hauptstadt der Kriminalität“ sei. Mit 16.729 Straftaten pro 100.000 Einwohner sei der Stand von 1993 erreicht. Berlin liege nach Frankfurt am Main und Hannover an dritter Stelle.
Einen „besorgniserregenden“ Anstieg verzeichnet die Statistik bei der Raubkriminalität, die um fast 16 Prozent zugenommen hat. Die Straftaten im Bereich der Wirtschaftskriminalität haben sich verdoppelt. Die Gewaltkriminalität – Mord, Totschlag, Vergewaltigung, Erpressung – hat mit über 21.000 Fällen um 12,4 Prozent zugenommen. Auch im Bereich der Schwarzarbeit, des Zigarettenhandels und der Rauschgiftkriminalität sind „deutliche Anstiege“ zu verzeichnen (12,5 Prozent). Ein Rückgang ist bei Tötungsdelikten (um 17,5 Prozent), Pkw-Einbrüchen (um 7,4 Prozent) und Autodiebstählen (um 11,2 Prozent) festzustellen.
1995 wurden knapp 250.000 Straftaten aufgeklärt. Damit stieg die Aufklärungsquote im Vergleich zu 1994 minimal von 42,3 auf 43 Prozent. Der Anteil der Nichtdeutschen an den 160.451 Tatverdächtigen beträgt 34 Prozent, wogegen ihr Anteil an der Bevölkerung Berlins 12,3 Prozent ausmacht. Schönbohm betonte, daß 40 Prozent der ausländischen Tatverdächtigen allerdings „durchreisende Ausländer“ waren, die nicht in Berlin wohnten. Immer noch werden in der Statistik Verstöße aufgeführt – gegen das Ausländer- und Asylverfahrengesetz –, die nur Ausländer begehen können. Justizsenatorin Peschel-Gutzeit (SPD) hatte dies bereits im letzten Jahr kritisiert.
Einen besorgniserregenden Anstieg verzeichnet die Statistik im Bereich der Kinder- und Jugendkriminalität. Im letzten Jahr waren 26,2 Prozent der Tatverdächtigen unter 21 Jahre. Der Anteil tatverdächtiger Kinder ist um 7,5 Prozent gestiegen, der jugendlicher Tatverdächtiger stieg um 10 Prozent auf 11,1. Insbesondere bei Raubdelikten, Körperverletzung und Sachbeschädigung hat sich dieser negative Trend fortgesetzt.
Wolfgang Wieland, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, kritisierte die CDU, daß sie mit dem „Verbiegen“ der Statistik Politik mache. Statt dessen sollten in den Beratungen zum Nachtragshaushalt „deutliche Schwerpunkte“ in den Bereichen Soziales, Jugend und Familie gesetzt werden. Die Gewerkschaft der Polizei bezeichnete Berlin als „europäische Metropole des Verbrechens“ und warnte, daß die Polizei „die Grenzen der Leistungsfähigkeit“ erreicht habe. Bei der Polizei sollen 2.000 Stellen abgebaut werden. Barbara Bollwahn
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