: Teurer Wodkakonsum
Ab heute Mindestpreise für Wodka in Rußland. Schwarzbrenner und Importeure sollen ausgebootet werden. Staatseinnahmen steigen ■ Aus Moskau Barbara Kerneck
Unter der Überschrift „Nie wieder!“ erinnerte sich letztes Jahr die Moscow News an das Trauma der Gorbatschowschen Antialkoholismuskampagne. Während der Generalsekretär-Präsident 1985 hundertjährige Weinstöcke in den südlichen UdSSR-Republiken fällen ließ, sägte er ganz nebenbei dem Moskauer Zentrum einen finanziellen Ast ab, auf dem es seit Jahrhunderten saß.
Wenn der Staatshaushalt der UdSSR bis dahin noch stolze 30 Prozent seiner Einkünfte aus der Tabak- und Alkoholsteuer bezogen hatte, fließen heute kaum mehr zwei Prozent des russischen Budgets aus dieser Quelle. Den Reibach machten statt dessen die InhaberInnen von Handels- und Zollprivilegien, Schmuggler und Schwarzbrenner.
Heute soll das anders werden. Die Regierung setzt per Dekret Mindestpreise für Getränke mit einem Alkoholgehalt über 28 Prozent in Kraft. Wodka-Hersteller können das begehrte Wässerchen nicht mehr unter einem Literpreis von 11.300 Rubel (2,34 Dollar) losschlagen. Die KäuferInnen im Geschäft müssen etwa 18.400 Rubel (3,80 Dollar) pro Liter hinblättern.
Ein ganzes Bukett von Regierungsverordnungen wird noch folgen. Zusammengenommen dienen sie drei Zwecken: die vaterländischen Schnapsproduzenten und -Konsumenten zu schützen, die staatliche Kontrolle über die Produktionsbedingungen wiederherzustellen, und dem Staatshaushalt zu Einnahmen zu verhelfen.
Der Mindestpreis als Hauptmaßnahme soll vor allem Schmugglern und Schwarzbrennern das Handwerk legen, die traditionell am Staatssäckel vorbeiwirtschaften und ihre Ware auf dem Markt jetzt nicht mehr billiger anbieten dürfen als die offiziellen Produzenten.
Jelzins Tennistrainer importierte Wodka zollfrei
Bereits im Oktober vorigen Jahres wurde, nach hartem Kampf, das Sonderrecht einer Reihe „wohltätiger“ Stiftungen annulliert, alkoholische Getränke völlig abgabenfrei zu importieren. Dieses Vorrecht genoß auch die „Nationale Sport-Stiftung“, der als Präsident Jelzins Tennistrainer, Schamil Tarpitschtschew, vorsteht.
Nach Ansicht von Experten verzichtete die russische Regierung so allein 1995 freiwillig auf vier bis sechs Milliarden Dollars an Zöllen. Kein Wunder, daß der Weltwährungsfonds (IWF) auf ein unverzügliches Ende dieser Praxis drang. Seine Kredite an Rußland betrugen im gleichen Zeitraum sechseinhalb Milliarden Dollar.
Während die genannten „Privilegien“ die Russische Föderation in ein im Weltmaßstab einzigartiges Alkohol- und Zigarettenparadies verwandelten, schützten sie den Wodka vor inflationärem Preizuwachs. Zu Beginn der 90er Jahre kostete das Wodka-Fläschchen (0,7 Liter) neun Rubel, heute kostet es zehn- bis zwölftausend. Aber damals konnte man für einen russischen Durchschnittslohn 16 Liter Wodka erwerben, heute bekommt man dafür 50 Liter.
Dabei wurde der Nationalschnaps seines Charakters als „flüssige Währung“ beraubt. Damals konnte ich für eine Flasche Wodka noch eine lange Taxifahrt durch die ganze Stadt einhandeln, heute kommt mir dafür nicht einmal mehr ein minderqualifizierter Klempner ins Haus.
Ausrichten sollen sich Steuern und Zölle künftig nicht mehr am Verkaufspreis, sondern an den Alkoholprozenten pro Liter. Auf diese Weise werden schwachprozentige Getränke relativ billiger. Darin drückt sich eine schwache Hoffnung der Regierungskommission aus, das Schiff der Nation diplomatisch in den Hafen der „Ernüchterung“ zu lotsen.
Das natürliche Bestreben des Menschen, seinen psychischen Zustand auf eine möglichst angenehme Weise zu variieren, ist bei den RussInnen nämlich besonders ausgeprägt. In Form von Wodka konsumieren männliche Russen im Durchschnitt 18 Liter reinen Alkohol pro Jahr und Seele. Die Grenze für ernsthafte Schäden für Gesundheit und Erbgut liegt nach dem heutigen Wissensstand bei etwa acht Liter jährlich.
18 Liter reiner Alkohol pro Kopf aus Wodkaflaschen
Einerseits soll der Wodka teurer werden, andererseits will die russische Regierung auch die Produktion renommierter vaterländischer Firmen wie der Moskauer Fabrik „Kristall“ – (Herstellerin weltbekannter Marken wie „Moskowskaja“ und „Stolitschnaja“, A. d. Red.) ankurbeln. Deren Likör- und Wodkapotential wird zur Zeit nur zu 40 Prozent ausgenutzt. Der innerrussische Wodka-Markt mit einer Kaufkraft von etwa 40 Milliarden Dollar ist jetzt zur Hälfte von ausländischen Produkten besetzt. Schon 1993/94 warfen polnische, holländische und deutsche Produzenten harter Getränke 60 Prozent ihres Exportes auf den russischen Markt.
Dafür hat die Regierung zum einen die Einführung von Importquoten beschlossen. Es ist das erste Mal, daß der neue russische Staat zu einer solchen Maßnahme Zuflucht nimmt. Der Import-Alkohol darf demnach künftig nicht mehr als 20 Prozent des Jahreskonsums ausmachen, niedrigalkoholische Getränke werden bevorzugt. Zum anderen soll auf den Liter Wodka künftig ein Einfuhrzoll von 40.000 Rubel erhoben werden.
Ausnahmenregelungen sind schon jetzt abzusehen. Fadenscheinig wie die Hoffnung auf die Außenhandelsbarriere erscheint auch die Hoffnung, die Trinkgewohnheiten des russischen Volkes auf diese Art umzupolen. Schon Häuptling Nikita Chruschtschow hatte vergeblich versucht, die RussInnen mit amtlich erhöhten Wodkapreisen zu gängeln.
Offen ist auch die Frage, ob der politische Preis, den die russische Regierung für den Schutz inländischer Marken zahlt, nicht zu hoch ist. In der russischen Presse wird die Erhöhung der Wodkapreise am Vorabend der Präsidentenwahlen als politischer Selbstmord bewertet. Dabei lassen die Kommentatoren allerings ein wichtiges Detail außer acht: die jüngsten Regierungsbeschlüsse sind eigentlich nur Ausführungsbestimmungen. Ihnen liegt ein einschlägiges, sehr detailliertes Gesetz zugrunde, bei dessen Verabschiedung die Duma- Fraktionen eine seltene Einhelligkeit an den Tag legten. Dafür waren zwei Drittel aller abgegebenen Stimmen im Parlament. Anschließend passierte das Gesetz am 15.Oktober 1995 widerspruchslos den Föderationsrat. Volk oder Nicht-Volk, kein Politiker möchte sich für den Fall der Machtergreifung des nährenden Alkohol-Finanz-Quells beraubt sehen.
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