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Computer von morgen für das Netz von heute

Morgen beginnt in Hannover die CeBIT '96, die Fachmesse für Computer und Telekommunikation  ■ Von Niklaus Hablützel

Berlin (taz) – Die Deutschen seien „unwired“, klagt Nicolas Negroponte, der in Deutschland wohl am meisten zitierte Verkünder der neuen Medienwelt am Massachusetts Institute of Technology. Nicht auf Draht, heißt das, nicht richtig angeschlossen.

Aber es drängt sie danach. Nach Hannover zur CeBIT, der Messe für Computer und Telekommunikationstechniken aller Art pilgerten die rückständigen Deutschen in den letzten Jahre in solchen Massen, daß es der Messeleitung selbst zuviel wurde. Die Geschäfte litten darunter, vor allem die Riesen der Branche zweifelten öffentlich am Sinn ihrer Präsenz in Hannover. Über Gedränge am Stand konnten sie zwar nicht klagen, die Bilanz ihrer Abschlüsse jedoch war mager. 1996 wird die CeBIT deshalb zweimal stattfinden. Morgen um 9 Uhr beginnt der erste Teil, der vor allem das Fachpublikum aus Industrie, Forschung und – besonders wichtig – den Banken anlocken soll. Ende August dürfen dann die Leute nach Hannover fahren, an die Negroponte eher denkt: die User, die das Weihnachtsgeld schon mal für neue Prozessoren, Modems und Festplatten verplanen.

Doch wahrscheinlich wird diese Rechnung der Messeleitung nicht aufgehen. Die Computerbranche verzeichnet in Europa die weltweit größten Umsatzuwächse. Über 6.300 Aussteller aus 66 Ländern haben auf der neuen Frühjahrs- CeBIT ihre Stände aufgebaut. Wenn am 20. März die Tore wieder geschlossen werden, wird ein neuer Besucherrekord zu vermelden sein. Der Glanz der Supertechnik und die vage Hoffnung, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen, lockt auch Laien an. Oft genug sind es gar keine, und oft genug verstehen sie mehr von Computern als die Geschäftsleute, die mit Auftragsbüchern nach Hannover fahren. Die CeBIT-Fans ohne Geld und Firma haben in der deutschen Sektion des Internet sogar eine eigen Newsgroup gegründet (de.alt.messe.cebit) Hier werden Tips für Karten, Studentenrabatte und Schlafplätze weitergegeben.

Das Internet hat die Branche kalt erwischt

Die Messeleitung selbst gab sich freilich alle Mühe, das Programm möglichst abschreckend zu gestalten. Einen Hauptschwerpunkt bilden Firmennetzwerke und Softwarepakete für Banken und Sparkassen. Ein bißchen volksnaher geben sich neue Konzepte für das Onlineshopping. Allerdings dürfte sich auch in Hannover nicht ganz verheimlichen lassen, daß dieses Geschäft nicht einmal im gelobten Amerika gut läuft.

„CIM“, ein weiteres Hallenthema, ist ein Steckenpferd mittelständischer EDV-Abteilungen. Es geht darum, ganze Firmen von der Lohnbuchhaltung bis zur Spedition von Computern managen zu lassen – die Wirklichkeit bleibt weit hinter den Demonstrationsinstallationen zurück.

Das wiederum braucht niemanden zu stören, schließlich nennt sich die CeBIT stolz „Weltleitmesse“. Sie verweist auf zukünftige Produkte, auf Trends, nur hat sie die Gegenwart ebenso kalt erwischt wie die Branchengiganten IBM, Microsoft oder auch Apple. Die Gegenwart ist das Internet, das letztes Jahr auch in Deutschland seine kritische Masse erreichte. Vernetzte Computer sind keine Domäne hochbezahlter Spezialisten oder genialer Amateure mehr. Sie sind dabei, ein Massenmedium zu werden. Den Standard setzen Newcomer wie Netscape. Microsoft versucht verzweifelt, mit seinen schnell gestrickten Programmen den Anschluß zu finden, Apple laviert der Pleite entlang.

Diese neueste Runde um die Vorherrschaft im Computer-Massengeschäft ist in Hannover eher ein Thema am Rande. Schuld daran ist die programmatische Konzentration auf den Bedarf der Industrie. Die großen Onlineanbieter von Telekom bis AOL versuchen trotzdem, ihre kleinen Kunden zu werben, und auch die Messeleitung selbst will mithalten.

Ihre Seite im World Wide Web, dem bunten Schaufenster des Internets, spricht jedoch eher für Negropontes Urteil über die Deutschen. Brav listet sie die Themen der Hallen auf, eine Presseerklärung vom Februar stellt den aktuellsten Stand dar. Ein „Weltwirtschaftsforum“ soll stattfinden, leider beschränken sich die Informationen unter diesem Stichwort auf eine trockene Ausführung über den Standort Deutschland und zwei einsilbige Unterrubriken: „Ost- und Mitteleuropa“, „Mittel- und Südamerika“. Damit endet die virtuelle Weltreise, wenn sie in Hannover beginnt.

Für Leute aus dem Cyberspace, die immer noch Fragen haben, ist immerhin ein Suchprogramm eingerichtet. Die Version „0.9“ datiert vom 5. März, seit gestern funktioniert auch die Datenbank mit den Ausstelleradressen.

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