piwik no script img

Ein Stück wie aus vergangenen Tagen

Verkehrte Welt: In Berlin solidarisiert sich der „Kulturverein Prenzlauer Berg“ mit einer früheren Zuträgerin der Stasi. Deren Kritikerin wird im Gegenzug vom Verein gefeuert  ■ Aus Berlin Erna Stur

Es gibt sie noch, die versteckten Bastionen der untergegangenen DDR. Orte, an denen ein Wir-Gefühl in der Luft liegt. Ein solcher ist das Vereinslokal des „Kulturverein Prenzlauer Berg“. Neu sind Computer und Stühle, aber irgendwie müffelt es. Auffallend oft wird das Wort „demokratisch“ bemüht. Etwa: Das ist bei uns ganz demokratisch entschieden worden.

Entschieden wurde abzuzocken. In diesem Fall Geld für 45 Stellen nach dem Arbeitsförderungsgesetz und 9 aus dem öffentlichen Haushalt. Kultur veranstaltet der Verein an letzter Stelle. Er müßte eigentlich Sozialverein heißen. Es gibt Kinder- und Jugendprojekte, eines für junge Mütter und ihre Babys, eines für Ausländer. Die Vereinsvorsitzende, die Geschäftsführerin, die Betriebsratsvorsitzende, alle sind sie ehemalige Stützen einer ehemaligen Gesellschaft und jetzt ehrenwerte Damen einer Subventionsveranstaltung. Im letzten Sommer gründete der Verein eine Arbeitsfördergesellschaft. Einen Betrieb, bei dem im ersten Jahr das Arbeitsamt die Löhne ganz, im nächsten zu 75 Prozent und im dritten noch zu 50 Prozent zahlt. 1.950 Mark pro Nase gibt die Nürnberger Bundesanstalt pro Beschäftigtem aus der „Zielgruppe mit eingechränkten Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt“.

Die mittlerweile zehn Monate alte Unternehmung heißt „Mittendrin“ und produziert mit 19 Menschen eine Zeitung gleichen Namens. Sie liegt im Bezirk kostenlos aus, umfaßt acht Seiten und erscheint einmal monatlich. Außerdem betreibt „Mittendrin“ Tourismus am Prenzlauer Berg. Alles hätte gemütlich weitergehen können, der Verein wäre gewachsen, es gab soviel Projektideen – wäre da nicht diese Geschichte passiert.

Im Sommer 95 beschlossen die MitarbeiterInnen, einen Betriebsrat zu gründen. Der Betriebsrat wird gewählt, es tritt die Querulantin auf. Barbara Fuchs heißt sie. Auch sie arbeitet auf der Basis eines befristeten Vertrags. Fuchs beschwert sich in der ersten Betriebsversammlung über die Wahl der Betriebsrätin Maja Wiens. Warum über diese engagierte Frau? Wiens war einmal Inoffizielle Mitarbeiterin (IM), kein kleines Würtchen, sondern ein dicker Fisch. Von 1978 bis mindestens 1983 schrieb sie Seite über Seite voll mit Geschichten aus dem Leben auch von guten Freunden. Bettina Wegener war auch dabei. Präzise und in einem Ton, den niemand bei der hilfsbereiten Frau vermutet hätte. „IM Marion“ sieht sich eigentlich als Schriftstellerin, doch die Poesie sucht man in den Spitzelberichten vergeblich.

Der IM: kein Würstchen, sondern dicker Fisch

1983 habe sie Schluß gemacht, sagt Maja Wiens, und sei mit wehenden Fahnen zur Opposition übergewechselt. Daß man ihr ein Dauervisum für den Westen gab, war nur ein Trick, um die Widerständlerin zu diskreditieren.

Ausgerechnet Barbara Fuchs, früher selbst SED-Mitglied, mit ihrem Bedürfnis nach mentaler Hygiene, nahm an der Ex-IM als Betriebsrätin Anstoß.

Der Kulturverein, der mit seiner obskuren Politik interessanter ist als die tragische Figur Maja Wiens, steht kollektiv hinter der belasteten Betriebsrätin und beendet das Arbeitsverhältnis mit der Querulantin. Ein schwerer Fehler. Denn überraschenderweise solidarisieren sich die ehemaligen Opfer der Stasi-Frau mit der Geschaßten. Pressekonferenzen, Berichte, Wirbel und öffentliche Veranstaltungen. Der tiefe Riß zwischen Verräterin und Verratenen tut sich auf, als seien seit der Wende erst drei Tage vergangen. Auf einer Veranstaltung des Vereins vor vier Wochen mit dem doppeldeutigen Titel „Einmal IM, immer IM!“ sagt ein Mann: „Ich bin selber ein Ostkind. Aber ich bin erschrocken über meine Landsleute, die sich eher um einen IM scharen und gar nicht fragen, was er im einzelnen gemacht hat ... daß die heute mehr Bewunderung bekommen als diejenigen, die immer wieder auf diesen wunden Punkt hinweisen.“ Mit unbewegter Miene und unberührt von den Vorwürfen verteidigten die Vereinsvorsitzende Sigbjoernsen und die Geschäftsführerin Lämmer den Kulturverein.

Im Bezirk Prenzlauer Berg reden viele hinter vorgehaltener Hand über den Verein. Man ist unzufrieden, daß so großzügig öffentliche Gelder in eine dubiose Hand gelangen. Aber „das sind doch welche von uns“, da hält man wider besseres Wissen den Mund. Und wenn die Medien aus dem Innenleben des Vereins berichten, dann setzt ein Rechtsanwalt zur Abwehr aller despektierlichen Berichte eine Gegendarstellung durch.

Letzte Woche endete der Gütetermin vor dem Arbeitsgericht (Barbara Fuchs contra Kulturverein) ohne Ergebnis. Die beiden Frauen, an denen sich die Affäre entzündete, Barbara Fuchs und Maja Wiens, sind mittlerweile arbeitslos, die eine wegen Rausschmiß, die andere wegen Maßnahmenende.

Am Montag befaßte sich immerhin der Kulturausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses eine knappe Stunde mit dem Kulturverein. Unbehagen an der Vereinspolitik äußerten alle SprecherInnen der Parteien, ein konkretes Ergebnis kam nicht zustande. Zwei Überlegungen wurden formuliert. Zum einen ist zu prüfen, ob Träger, die ihr Geld von den Arbeitsämtern und aus dem Steuersäckel bekommen, nicht ebenso wie der öffentliche Dienst ihre MitarbeiterInnen auf Stasi-Tätigkeit überprüfen müßten. Zum zweiten, ob die Einzelprojekte des Kulturvereins nicht unter anderer Trägerschaft gerettet werden können.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen