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„Der AOK geht es ums Überleben“

Schlammschlacht zwischen den Krankenkassen. Die Deutsche Angestellten Krankenkasse (DAK) wirft der AOK vor, sie versuche chronisch Kranke, weil „teure“ Versicherte, zu vertreiben und die Zahlungskräftigen und Gesunden heftig zu umwerben. Dazu lasse sie sich von der Unternehmensberatungs-Firma McKinsey teuer beraten. Die AOK Hamburg hat derzeit 450.000 Versicherte – darunter deutlich mehr beitragsschwache Mitglieder als andere Kassen. Die AOK stehe offenbar „mit dem Rücken an der Wand“, urteilt die Sprecherin des Verbands der Ersatzkassen, Vera Kahnert. Das hindert die Ersatzkassen scheinbar aber nicht daran, weiter kräftig auf sie einzuprügeln.

Die AOK weist die Vorwürfe zurück und richtet sie postwendend an die DAK. Die Mitglieder schriftlich auf die Wahlfreiheit hinzuweisen, erfolge „zur Information“, betonte die AOK-Geschäftsführerin Karin Schwemin. Wenn Kassen wie die DAK gezielt den Eindruck erwecken wollten, die AOK betreibe Risikoselektion, dann sei das als Kampfansage im Wettbewerbsjahr 1996 zu verstehen. Die taz befragte den Leiter der Patientenberatung der Hamburger Verbraucherzentrale, Christoph Kranich, zum freien Wettbewerb der Krankenkassen.

taz: Der Krieg zwischen den Krankenkassen – ist das der Preis für den freien Wettbewerb?

Christoph Kranich: Er ist die logische Konsequenz. Denn das Krankenversicherungssystem war auch bisher kein wirkliches Solidarsystem. Besserverdienende mußten niedrigere Beiträge zahlen, sei es, weil sie sich freiwillig bei privaten Anbietern versicherten oder weil sie als Angestellte Mitglieder von Ersatzkassen waren, die meist auch niedrigere Beiträge verlangten. Die Primärkasse AOK mußte bisher die Risikogruppen und die Sozialhilfeempfänger aufnehmen und hatte deshalb auch höhere Beiträge. Diese ungleiche Verteilung wollte der Gesetzgeber auch mit dem freien Wettbewerb ausgleichen. Die Kassen nutzen ihn, um sich gegenseitig die begehrten Versichertengruppen abzuwerben – vor allem kinderlose, gut verdienende, junge Menschen. Ihre Gegnerschaften sollten die Krankenkassen aber nicht auf dem Rücken der Beitragszahler austragen.

Welche Wettbewerbspraktiken sind Ihnen aus Ihren Beratungen bekannt?

Auch wir haben Hinweise, daß die AOK „teure“ Versicherte persönlich anschreibt, um sie auf die Wahlmöglichkeiten hinzuweisen. Das könnte man als Hinausdrängen interpretieren. Auch ihr Bonussystem mit der Beitragsrückerstat-tung spricht für Entsolidarisierung und soll gesündere Versicherte anlocken. Ähnliche Tendenzen gibt es aber auch bei anderen Krankenkassen. Doch bei der AOK geht es ums Überleben. Sie hat nur eine Chance im Wettbewerb, wenn sie eine bessere Mischung zwischen gesünderen und Risiko-Gruppen hinbekommt.

Was bringt der Wettbewerb den Versicherten?

Die Kassen müssen mehr Leistungen anbieten, neue Ideen entwickeln und diese transparenter machen. Bisher war man halt in einer Krankenkasse versichert, hat Beiträge gezahlt, ohne sich zu fragen, was erwartet man eigentlich von ihr. Das hat sich geändert. Die Nachteile des Wettbewerbs sind natürlich, daß die Verbraucher häufig Werbesprüche zu hören bekommen anstatt sachliche Informationen. Die Verbraucherzentralen und Patienten-Initiativen müssen deshalb verstärkt auf die Lauterkeit der Versprechen achten.

Sind Sie denn dazu in der Lage?

Dafür sind wir leider nur schlecht ausgestattet. Nur drei Stellen gibt es bei der Patientenberatung der Verbraucherzentrale Hamburg. Dabei ist eine Überwachungs- instanz im Gesundheitsbereich viel wichtiger als zum Beispiel beim Waschmaschinenkauf. Deshalb müßten hier auch die Medien, die Aufsichtsbehörden aber auch die Selbstverwaltungsorgane der Ärzte und die Krankenkassen selbst verstärkt Kontrolle ausüben und Mängel anprangern.

Worauf sollte man bei der Krankenkassenwahl achten?

Man sollte die Krankenkasse nicht nur nach der Beitragshöhe auswählen. Die werden sich im Laufe der Zeit angleichen. Man muß vielmehr nach den Leistungen fragen: Unterstützen die Kassen die Versicherten beispielsweise bei Behandlungsfehlern. Da war übrigens die AOK die erste Hamburger Krankenversicherung, die zusammen mit der Patienteninitiative eine entsprechende telefonische Beratung anbot. Man sollte auch darauf achten, ob die Kassen alternative Heilmethoden zahlen. Bieten sie Rückenschulen an? Wie halten sie es mit Psychotherapien? Oder wie gut sind sie erreichbar?

Fragen: Patricia Faller

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