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Vernehmung mit „Mafia-Methoden“?

■ Scheinhinrichtungs-Vorwurf: Staatsanwälte beschlagnahmen Zeugen-Unterlagen

Anthony Rau, Zeuge im Scheinhinrichtungsfall Joel Boateng, ist empört. Mit „Mafia-Methoden“ hätten ihn die Staatsanwälte Martin Köhncke und Jannhenning Kuhn verhört und „anschließend ohne richterlichen Beschluß“ seine gesamten Akten beschlagnahmt. Zudem hätten die Ermittler versucht, ihn über zahlreiche Interna des „Komitees für Menschenrechte“ – das das mutmaßliche Scheinhinrichtungsopfer Boateng ausfindig gemacht hatte – auszufragen und ihm dabei „Aussagen in den Mund zu legen“.

Auslöser der Vernehmung: Rau hatte in der taz vor zwei Tagen Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Joel Boateng angemeldet. Kaum war der Bericht erschienen, wurde er zur Vernehmung bestellt. Rau wollte den Termin verschieben, da sein Anwalt „nicht in Hamburg war“, wurde aber nach eigenem Bekunden von Staatsanwalt Kuhn „mächtig unter Druck gesetzt“, sich noch am selben Tag den Fragen der Ermittler zu stellen.

Nach einer mehrstündigen „sachlichen Vernehmung über den Fall Boateng“ – so die Darstellung Raus – hätten Köhncke und Kuhn versucht, ihm Detailinformationen über die Arbeit und die Mitglieder des „Komitee für Menschenrechte“ zu entlocken. Da für Rau „diese Fragen nichts mit den Scheinhinrichtungsvorwürfen“ zu tun hatten, verweigerte er die Aussage und kritisierte die „dubiosen Ermittlungs-Methoden“ der Befrager.

Dabei ließ er durchblicken, er verfüge über zahlreiche Unterlagen, die zweifelhafte Vorgehensweisen polizeilicher und staatsanwaltschaftlicher Ermittler belegen würden: So sei versucht worden straffällig gewordenen Zeugen aus dem Umfeld Boatengs mit der Aussicht auf Strafminderung zu bewegen, Falschaussagen zu machen, die die Glaubwürdigkeit des mutmaßlichen Scheinhinrichtungs-Opfers in Frage stellen.

Daraufhin hätten Köhncke und Kuhn erklärt, sie würden alle von Rau mitgeführten Unterlagen beschlagnahmen und gegen ihn eine Anzeige wegen Widerstand stellen, wenn er die Akten nicht freiwillig herausgebe. Rau weigerte sich zunächst „ohne richterlichen Beschluß und ohne anwaltlichen Beistand“ seine Papiere, darunter persönliche Unterlagen, herauszugeben. Da ihn die Staatsanwälte aber nicht mitsamt seiner Akten gehen lassen wollten, habe er sich „gezwungen gesehen, die Unterlagen der Staatsanwaltschaft unter Protest zu überlassen“.

Oberstaatsanwalt Rüdiger Bagger bestätigt „die Sicherstellung der Unterlagen wegen Gefahr im Verzug“. Die Akten lägen versiegelt im Panzerschrank und würden erst gesichtet, „wenn wir den inzwischen beantragten richterlichen Beschlagnahmebeschluß haben.“ Bagger: „Wir gehen davon aus, daß es sich bei den Papieren um für den Fall Boateng wichtige Beweismittel eines Zeugen“ handelt. „Die Sicherstellung ist völlig korrekt verlaufen“. Marco Carini

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