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Große Freiheit 08/15

■ Im Kongreßzentrum: Freddy Quinn, mit viel Glück der Sinatra für Arme, verhob sich abendfüllend an Hans Albers' „Großer Freiheit Nummer 7“

Gute Zeiten fürs Bremer Musical! All die KritikerInnen, die Dr. Jeckyll und Mr. Hyde leere Ränge prognostizieren, müssen verstummen. Der Wirtschaftssenator kann sich entspannt zurücklehnen. Der Erfolg ist programmiert, denn: Der Bremer guckt sich jeden Mist an, Hauptsache ein bekannter Name steht auf der Bühne. Gleich ganze Hundertschaften mausgrauer Menschen sind am Mittwoch abend vom Fernseher weg ins Congress Centrum geströmt, haben ohne Murren eine grottenschlechte Inszenierung der „Großen Freiheit Nummer 7“ über sich ergehen lassen – aber dafür haben sie ihn gesehen. Freddy Quinn, den Unverwüstlichen, den virtuellen Hamburger mit der Kraft der zwei Herzen. Letztlich: Das fleischgewordene Versprechen auf die ewige Jugend. Schon als „Junge“, der in den sechziger Jahren doch gefälligst „bald wieder nach Haus“ kommen sollte, war der Mann eigentlich schon zu alt. Aber unverbrüchlich erschallt seit zehn, zwanzig Jahren immer wieder derselbe erstaunte Ausruf: „Was, so alt ist der schon?“ Und nun ist er nochmal zehn, zwanzig Jahre älter, aber das Publikum auch, und das gleicht sich dann irgendwie aus.

Daß an dem Abend keine Tomaten oder, dem Stück eher angemessen, übergärige Heringe geworfen wurden, das kann eigentlich nur zwei Gründe haben: Entweder das Volk ist tatsächlich vom Freddy-Mythos geblendet, oder es hat einen grausligen Geschmack. Die Produktion jedenfalls hätte fliegende Fische verdient gehabt. Das Ensemble: Zwei Drittel Berufsanfänger, bei denen sich die weiblichen vor allem durch Langbeinigkeit auszeichneten – die können noch nichts dafür; ein Drittel alte Fahrensleute, die offensichtlich dramatisch knapp dem Abwracker noch einmal entronnen sind – die konnten nichts mehr dafür. Die Ausstattung: Windschiefe Perspektiven von der Hamburger Speicherstadt, auf lappige Vorhänge gepinselt, dazu wackelige Sperrholz-Verhaue, die Zimmer imitieren sollten, und eine zusammengezimmerte Hafenbarkasse, die gut aus dem Werkunterricht einer Mittelschule hätte kommen können (nichts gegen Mittelschulen). Das Orchester: Zähklebrige Lustlosigkeit, schon beim Potpourri verschmieren Geigen wie Bläser jeden Takt, wo früher mal schmissige Schunkelseligkeit aufkommen konnte, da blieb nun das Publikum regungslos hocken, wie festgeschraubt – ein Orchester, das wie ein Mühlstein an der Musike hing, die konnten ziemlich viel dazu.

Und dann der Star, Freddy, der alles retten und tragen sollte. Die Gesichtsfurchen fingerdick zuge-spachtelt, mühselig jugendliche Spannkraft vortäuschend, zu wenig, um die Grausamkeiten auf der Bühne vergessen zu lassen. Das vollfette „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ geriet ihm zur Magerkost. Freddy Quinn, die tragische Figur des Abends.

Ein Schauspieler ist der Mann nicht. Ein Sänger ist er. Wenn er sich nur auf sein Alter einlassen könnte, wäre er gar nicht schlecht. Gebt dem Mann einen Smoking, gebt ihm ein gutes Orchester, er wäre ein Sinatra für Arme. Aber immerhin ein Sinatra. So aber versuchte er auf Krampf die Latte zu erreichen, die andere verdammt hoch gelegt haben – und doch hopst er nur drunter durch. Der Johnny aus der „Großen Freiheit Nummer 7“, das ist definitiv Hans Albers, und wer das restliche Personal aus dem legendären Ufa-Film kennt, der ahnt, daß Freddy und seine Krückenmannschaft daran zerschellen mußte: Ilse Werner, Hans Söhnker, Gustav Knuth, Günther Lüders, die Regie von Helmut Käutner. Das Filmlexikon vermerkt: „Deftiges Seemannsgarn mit nüchternem Realismus und heftigen Gefühlen, authentischer Atmosphäre und einem Hauch von Resignation.“ Das alles war am Mittwoch abend definitiv nicht anzutreffen. Die „Große Freiheit Nr. 7“ wurde zur „Großen Freiheit 08/15“ geträllert, seelenlos. Jochen Grabler

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