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Feuer für den Anarchisten

■ Harry Hamer von Chumbawamba über Pop, Politik und ein obszönes Baby

taz: Inwiefern hat der Bergarbeiterstreik von 1984 Eure Einstellung verändert?

Harry Hamer: Der miner strike war auf vielfältige Weise wichtig für uns. Ich bin aus einer Bergarbeiterfamilie in Nordengland. Auf einmal ließ Thatcher alle Zechen in der Gegend schließen, weil sie nicht kosteneffektiv produzierten. Tatsächlich ging es aber um etwas anderes: Die Bergarbeiter hatten die letzte starke, gut organisierte Gewerkschaft und Thatcher wollte sie mit allen Mitteln loswerden. Als wir den miners halfen und einen Ring zwischen Bergarbeitern und Polizei zogen, mußte ich zurückschlagen, um nicht von den Bullen verletzt oder gar, wie es einigen widerfahren ist, getötet zu werden. Vor dem Bergarbeiterstreik habe ich mich selbst als Pazifist verstanden. Danach wurde mir klar, daß man manchmal Gewalt anwenden und zuerst schlagen muß, um nicht geschlagen zu werden.

Wo steht Ihr heute politisch?

Ich denke, ich habe in den letzten zehn Jahren gelernt, daß es keinen Sinn macht, sich zurückzulehnen und zu denken: „Meine Ideologie steht, und ich warte jetzt darauf, daß die anderen das jetzt auch begreifen.“ Obwohl ich heute meine Ideen ständig hinterfrage, verstehe ich mich aber weiterhin als Anarchist, wenn auch weniger naiv als früher.

Ein Anarchist mit anderen Mitteln?

Ja, das ist ja auch Anarchie, keine Regeln für sie zu haben. Wir haben ja ein Stück „Give The Anarchist A Cigarette“ genannt. Das ist ein Zitat aus Don't Look Back, einem Film, der die England-Tour von Bob Dylan von 1966 dokumentiert. Darin sitzt er in einer fetten Limousine mit seinem Manager. „Hör mal Bobby,“ meint sein Manager, „die Zeitungen nennen dich jetzt Anarchist.“ Bob Dylan antwortet nur: „Okay, give the anarchist a cigarette!“ Diese Szene hat uns gefallen, weil der Anarchist nur die Hälfte rauchen und mit dem Stummel Feuer legen wird.

Heißt das auch, daß der Anarchist ein Recht hat, sein Leben zu genießen?

Klar, das Wort 'Anarchist' ist ja allein dadurch beschmutzt worden, weil es von Politikern benutzt und von der Parteipolitik instrumentalisiert wurde. Nebenbei zeigt die Film-Szene auch, daß Politik auch auf anderen Ebenen stattfindet. Jede Form von Kommunikation, selbst der Slogan „Enjoy your life!“ kann politisch verstanden werden. Und außerdem zeigt sie, daß politische Bands nicht notwendigerweise langweilig sein müssen.

Hat nicht die englische Indie-Szene den politischen Inhalt längst den Rap-Bands überlassen?

Vielleicht was ihre Texte angeht. In Interviews ist es aber Mode geworden, sich zu den Allgemeinplätzen wie Antifaschismus, Antirassismus und Antisexismus laut zu bekennen. Das ist lustig, denn wir versuchen seit elf Jahren politisch zu sein, und anders als Heaven 17 oder ABC haben wir ja nie so oberflächliche Inhalte propagiert. Alle sagten uns damals, Pop und Politik wird nie funktionieren. Vor ein paar Jahren noch wäre „Enough Is Enough“ mit der Zeile „Give the fascist man a gunshot“niemals in einem großen kommerziellen Sender aufgetaucht.

Gab es nicht gerade in der Geschichte von Chumbawamba eine starke Beziehung zwischen Zensur und Chartserfolg?

Ja, Schockieren scheint gut für die Aufmerksamkeit zu sein. Bei unserem Cover hat die Plattenfirma aufgeregt diskutiert, ob das Baby während der Geburt nun pornographisch, erotisch oder nur obszön sei. Für uns ist das Baby ein Symbol für Anarchie: traumatisch, häßlich und schmerzhaft, aber zugleich wunderschön.

Fragen: Volker Marquardt

mit New Model Army, Mi 8.2., Docks, 21 Uhr. Karten nur noch im Schwarzhandel

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