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„Fataler Weg aus dem Dilemma“

■ Vergabe von Dringlichkeitsscheinen wird verschärft / GAL kritisiert neue Fachliche Weisung / Bausenator soll diskutieren Von Kaija Kutter

Einen „fatalen Ausweg“ aus dem Dilemma der Wohnungsnot entlarvte gestern die GALierin Susanne Uhl. Der Tatsache, daß es in Hamburg immer weniger Wohnungen für sozial schwache Menschen gibt, setze die verantwortliche Baubehörde nun eine „drastische Verschärfung“ der Vergabebedingungen für Dringlichkeitsscheine (D-Scheine) entgegen.

So sei angekündigt, daß noch im Frühjahr der „Hamburg Bonus“ eingeführt wird, der nur noch Menschen in Notsituationen einen D-Schein gewährt, die mindestens drei Jahre in Hamburg wohnen. Eine Regelung, die vor allem Migrantinnen extrem benachteiligen würde, aber auch Wohnungslose ohne Meldeadresse oder Frauen, die in einem Frauenhaus im Umland Zuflucht suchen.

Nur der Hälfte der rund 12.000 Menschen, die 1993 einen Berechtigungsschein erhielten, haben auch eine Wohnung bekommen. Ein Umstand, der, so Susanne Uhl, den Senat dazu verlassen müßte, die Zahl der auf dem 1. Förderweg gebauten Sozialwohnungen zu verdoppeln.

Ein weiterer Punkt, der die wohnungspolitische Sprecherin der Grünen empört, ist die Beibehaltung des „Selbstverschuldungsprinzips“. Die Praxis habe gezeigt, daß gerade diese Klausel zu sehr „willkürlichen“ und „nicht nachvollziehbaren“ Ablehnungen führt. So wurde einer Frau, die in Scheidung lebt, mit diesem Hinweis der D-Schein verweigert. Und einem Flüchtling, der auf den Wohnschiffen lebt und eine deutsche Frau geheiratet hat, wurde jüngst der D-Schein mit der Begründung verweigert, die Ehe sei selbstverschuldet. Das Widersinnige dabei: Lebt er weiter auf dem Schiff, gilt seine Beziehung als „Scheinehe“. Die Sozialberaterin Jutta Heppekausen, die diesen Fall gestern schilderte, warnte vor den Folgen des „Hamburg Bonus“ vor allem für MigrantInnen, die schon heute bei der D-Schein Vergabe um zehn Prozent schlechter gestellt sind. Denn fehlender Wohnraum gilt laut Ausländergesetz als Hindernis, den Aufenthalt zu verlängern.

Helmuth Schmidtke vom „Arbeitskreis Wohnraumversorgung“ ist ebenfalls über das Vorgehen der Behörde empört. Da die alte Fachliche Weisung, die die Vergabe von D-Scheinen regelt, viele Kann-Bestimmungen und dehnbare Formulierungen enthalte, habe man schon vor sechs Jahren mit der Behörde in einem Arbeitskreis zusammengesessen, um über Verbesserungen zu sprechen. Der verantwortliche Beamte habe Schmidtke damals zugesagt, die Neuregelung zuzuschicken, sowie ein Entwurf fertig sei. Seither aber habe man nie wieder etwas von der Stadthausbrücke gehört. Die Baubehörde solle sich deshalb am 9. Februar bei einer Veranstaltung der Diskussion mit Betroffenen stellen.

Baubehördensprecher Jürgen Asmussen bestätigte gestern die Befürchtungen der GAL. Sowohl der „Hamburg-Bonus“ als auch das „Selbstverschuldungsprinzip“ werden zu Kriterien. Allerdings enthält die von Asmussen verbreitete Liste der künftig D-Schein-Berechtigten auch minimale Verbesserungen. So soll in Scheidungsfällen künftig auch der Ehepartner, der die gemeinsame Wohnung verläßt, ein Anrecht haben, sofern sein Einkommen dies zuläßt.

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