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„Man glaubte uns noch nicht mal die Nummer auf dem Arm“

■ Heute ist der 50. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz. Die Überlebenden Esther Bejarano (70) und Flora Neumann (84) im Gespräch mit der taz: „Darum erzählen wir unser Leben.“

taz: Was überwiegt am Tag der Befreiung: Freude oder Angst?

Flora Neumann: Angst.

Esther Bejarano: Freude. Aber auch ein sehr, sehr zwiespältiges Gefühl, weil man nicht mehr sagen kann: „Wir sind hier sicher.“ Ich meine damit jüdische Menschen ebenso wie ausländische, alle, die bei den deutschen Menschen „fremd“ heißen.

Wann hat man Sie zum ersten Mal zu Ihrer Geschichte befragt?

Neumann: Angefangen hat das mit der Wiedergutmachung. Wo man klarlegen sollte: Wie krank bist du? Man schickte uns in Krankenhäuser, was entsetzlich war. Man glaubte den Menschen noch nicht einmal die Nummer auf dem Arm.

Bejarano: Ich bin ja etwas später nach Deutschland zurückgekommen, erst 1960. Bei mir hat es ungeheuer lange gedauert, bis es mir möglich war, mich mit dieser Thematik zu befassen. Ich konnte einfach nichts erzählen.

Wer hat sich denn dafür interessiert?

Bejarano: Viele junge Leute, insbesondere aus der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN). Die haben mir Mut gemacht und mich bedrängt, meine Geschichte zu erzählen.

Neumann: Ich wohne seit 40 Jahren in diesem Haus. Meine Nachbarn, alles Sozialisten, haben viel gefragt und standen uns immer zur Seite. Die Leute aber, die politisch keine Einstellung hatten, gaben oft zur Antwort: „Ach, das muß ja nun endlich mal vergessen sein.“ Mit fremden Leuten mag ich bis heute nicht darüber sprechen, besonders, wenn es ältere sind.

Wonach scheuen sich deutsche Fragesteller, Sie zu fragen?

Neumann: Sie scheuen sich allgemein. Das spürt man. Öfters kriegt man zur Antwort: „So schlimm kann das doch nicht gewesen sein.“

Bejarano: Früher konnte ich noch nichtmal vorlesen, was ich selbst aufgeschrieben hatte. Die Tränen liefen mir runter, ich habe andere gebeten zu lesen.

Wie hat man Sie nach ihrer Rückkehr behandelt?

Bejarano: Anfangs konnte ich mit den deutschen Menschen nichts anfangen. Auf der Straße hab ich mir die Leute angeguckt, und wenn sie etwas älter waren als ich, hab ich gesagt: „Vielleicht war das der Mörder meiner Eltern. Oder meiner Schwester.“ Zu diesen Menschen hab ich immer Distanz gehalten. Nur mit denen, von denen ich wußte, daß sie gegen Hitler waren, habe ich mich angefreundet. Ohne sie hätte ich nicht hier leben können.

Neumann: Ein Arzt von der Gesundheitsbehörde sollte mich untersuchen. Ich bekam immer rote Flecken am Hals und am ganzen Körper. Als er mich fragte, woher diese Flecken kommen, erinnerte ich ihn daran, daß ich in Auschwitz war. Darauf antwortete er: „Was wollen Sie? Unsere Soldaten haben Schlimmeres erlebt!“

Bejarano: Als ich meine Wiedergutmachung eingereicht habe und zum Vertrauensarzt mußte, sagte der, sein Weg zurück aus russischer Gefangenschaft wäre viel schlimmer gewesen als Auschwitz. Da hab ich ihm das Wort abgeschnitten und bin raus gegangen. Es hat mich umgehauen. Zusammengezuckt bin ich auch, als ich erfuhr, daß mein Hausarzt Dr. Lukas KZ-Arzt in Auschwitz war. Jahrelang bin ich zu dem gegangen, weil er seine Praxis in Altona hatte, wo ich wohnte. Er war unheimlich nett zu mir und hat mir lauter Atteste ausgeschrieben. Immer wieder hat er gesagt: „Sie müssen unbedingt Wiedergutmachung bekommen!“

Wie fühlen Sie sich, wenn deutsche Polizisten Sie beschützen?

Bejarano: Es ist eine Schande für Deutschland, daß sie das müssen. Ich finde, daß die Neonazis schon längst von der deutschen Regierung hätten erledigt werden können. Sie konnten ja auch immer eine Hatz machen auf Linke, die hat man sofort gefunden.

Neumann: Ich brauchte bis jetzt noch keinen Schutz von deutschen Polizisten. Höchstens vor der Synagoge. Es ist schon schlimm, daß da ein Gitter ist, Gott sei Dank kein elektrisches wie in Auschwitz. Das ist ein ganz furchtbares Gefühl.

Kaum ein Monat vergeht in diesem Land, ohne daß ein jüdischer Friedhof geschändet wird. Schaffen es die Faschisten, Sie nochmals zu vertreiben?

Neumann: Uns nicht mehr, dafür sind wir zu alt. Aber ob unser Sohn und unsere Enkel ... Da höre ich oft: Wir sitzen auf gepackten Koffern.

Bejarano: Ich glaube nicht, daß es soweit kommt. Ich bin optimistisch. Wenn ich in die Schulen gehe, sehe ich, daß die Jugend an der damaligen Zeit sehr interessiert ist. Ich hoffe, daß man trotz allem noch aus der Vergangenheit lernen wird. Obwohl man ja nicht von vielen Menschen sagen kann, daß sie in den vergangenen fünfzig Jahren irgendwas gelernt haben. Hier in Deutschland, dem Land der Täter, finde ich das ganz besonders schlimm. Die Geschichte muß wachgehalten werden, darum erzählen wir unser Leben. Ich kann Ihnen sagen, das ist wirklich nicht leicht.

Das Gespräch führte Fritz Gleiß

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