: Von Hamburg nach Auschwitz sind es 819 Kilometer...
■ Nach über 400 Jahren jüdischer Geschichte: 1933 lebten in Hamburg und Altona 25.000 Juden, 1945 keine 1000 mehr
Von Hamburg nach Auschwitz: Mit einem komfortablen Nachtzug braucht man für die Strecke 14 Stunden. Die Viehwagen der Nazis vom 11. Juli 1942 waren mehrere Tage unterwegs.
Hamburg beherbergte bis in die 30er Jahre eine der größten jüdischen Gemeinden Deutschlands. 1933 lebten in Hamburg und Altona noch etwa 25.000 Juden. Nach dem Krieg waren es keine 1000 mehr. Die jüdische Geschichte dieser Stadt, die mehr als 400 Jahre zurückreicht, war an vielen Orten ausgelöscht. Zum Beispiel rund um den Grindel, wo die Nazis vom „Schinkenkrug“ aus wüteten, der heutigen „Sowjetbar“.
Davor liegt an der Moorweidenstraße der „Platz der jüdischen Deportierten“. Von hier aus wurden etwa 9000 Hamburger Jüdinnen und Juden abtransportiert, die meisten nach Theresienstadt. Als die industriellen Massenmorde in Auschwitz begannen, ging am 11. Juli 1942 auch ein direkter Transport von Hamburg aus mit 297 Menschen auf die Fahrt ins Gas. Von Professor Friedrich Adler bis zu Ernst Wolff - der Mord an mindestens 289 von ihnen ist dokumentiert. Einen zweiten Hamburger Transport mit 24 Personen gab es im Februar 1943. Der 1957 gestorbene Harburger Auschwitz-Häftling Martin Starke beschreibt die Ankunft der Züge:
„Es war wieder Winter geworden. Ein Transport folgte dem anderen. Die Toten lagen vor den Krematorien aufgestapelt wie Holz. Häftlinge wurden ausgesucht, um lange Gräben auszuheben. Bis zum Mittag war die Arbeit getan, die so schwer war am hartgefrorenen Boden, daß sie allein schon viele hundert Tote gebracht hat. Nun kam das Grauen: Vom Dach des Krematoriums, auf dem ich mit zwei Kameraden arbeitete, sah ich, was mir unauslöschlich im Gedächtnis blieb. Männer, Frauen und Kinder mußten sich in der Eiseskälte nackt ausziehen und wurden mit Lederpeitschen an die Gräben gejagt und dann mit Maschinengewehren von der SS erschossen. Wie die Menschen fielen, ob tot oder verwundet, man warf sie in die Gruben und bedeckte sie mit harten Erdschollen. Als alles vorüber war, hob und senkte sich der Boden.“ Von seiner Frau Käthe Starke-Goldschmidt stammt das Buch über Theresienstadt „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“. Es ist seit Jahren vergriffen. Eine Neuauflage lohne sich nicht, sagt der Hamburger Christians-Verlag.
Am 27. Januar 1945 befanden sich die meisten KZ-Häftlinge auf Todesmarsch gen Westen: 58.000 Menschen, von denen höchstens 1500 überlebten, darunter neben Martin Starke auch Flora Neumann. Zwischen der Pogromnacht vom 9. November 1938 und dem Jahrestag von Hitlers „Machtergreifung“ fand der Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz nur selten Beachtung.
Bereits 1946 wurden auf einem Friedhof in Langenfelde wieder jüdische Gräber geschändet. 1960 wurde an der Hohen Weide die neue Synagoge eröffnet. Kurz zuvor war in Köln die eben erst eingeweihte Synagoge mit Hakenkreuzen und antisemitischen Parolen beschmiert worden. Der Vorgang erregte weltweit ähnliches Aufsehen wie der Brandanschlag in Lübeck vom vergangenen Jahr. Die Hamburger Synagoge steht seit ihrer Eröffnung unter Polizeischutz.
Unter dem Motto „Gegen das Vergessen“ hat das Auschwitz-Komitee gemeinsam mit der jüdischen Gemeinde, die heute etwa 2400 Mitglieder hat, für Sonntag ab 16 Uhr im jüdischen Gemeindesaal (Hohe Weide 34) eine Veranstaltung geplant. Dabei wird unter anderem der Schauspieler Rolf Becker aus dem Werk Primo Levis lesen. Das musikalische Rahmenprogramm übernimmt die Gruppe Coincidence, die sonst Esther Bejarano beim Gesang begleitet. Der Eintritt ist zwar frei, aber jede Besucherin und jeder Besucher wird abgetastet werden.
Das deutsche Auschwitz-Komitee gründete sich erst vor neun Jahren. Es hat seinen Sitz in Hamburg. Unter den rund 200 Mitgliedern sind nur noch wenige Überlebende. Inzwischen gibt es auch eine Jugendgruppe. Kontakt: Auschwitz-Komitee in der BRD e.V., Brödermannsweg 73a, 22453 Hamburg.
Fritz Gleiß
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