: Verräter an der Malerei
■ Premiere am Goetheplatz: Andrej Woron, Kultfigur aus Berlin, holt die „Dreigroschenoper“ her. Ein Porträt.
„Heißes Zitronenwasser bitte, und Pommes, pur, nur mit Salz.“ Was für eine Diät! Wer die Bremer Lebens- und Eßgewohnheiten des Regisseurs Andrej Woron dieser Tage studiert, käme nicht darauf, daß dieser polnische Theatermacher berühmt ist für die Sinnlichkeit seiner Inszenierungen. Gelage mit Batterien von Wodkaflaschen hätten dem Klischee vom osteuropäischen Temperament viel eher entsprochen.
Woron lebt in Berlin, und dort hat sich das Erstaunen über seine Art, Theater zu machen, längst gelegt. In der Hauptstadt bejubelt man ihn, hier ist er der Star.Trotzdem kommt Woron nach Bremen, um zum ersten Mal auch außerhalb des von ihm gegründeten „Teatr Kreatur“ zu inszenieren. Am Samstag hat im Theater am Goetheplatz Worons Version von Brechts Dreigroschenoper Premiere. Eine spannende Produktion, denn Brechts Erfolgsstück aus der Ära des epischen Theaters, die die Wirklichkeit ganz kalt und distanziert betrachten will, konnte kaum auf einen krasseren Gegensatz treffen als den für emotionales Theater bekannten Andrej Woron.
Bis dahin war es ein weiter Weg - und ein ungewöhnlicher. Denn ursprünglich hatte der heute 43jährige Regisseur mit dem Theater gar nichts am Hut. Im Gegenteil, als Schauspieler scheiterte er erst einmal: „Ich konnte mir einfach keinen Text merken.“ Maler war er, unterrichtete sogar an der Warschauer Kunstakademie und später in Berlin. Heute, als erfolgreicher Theatermacher, plagen ihn manchmal ambivalente Gefühle. Denn „der Malerei verdanke ich alles, auch das Theater. Jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich ein Verräter an der Malerei bin.“ Doch bei allem Pathos, das Woron zu eigen ist, war die Entwicklung zur Bühne sogar auf der Leinwand schon abzusehen. An die hundert Bilder entstanden, alle zum Thema Innenraum. „Jetzt sehe ich, es fehlten darin nur noch die Menschen.“
Die Chance dazu sollte sich 1987 ergeben. Der Jurist Allard Stupperich mietete in Berlin gegenüber der alten Schaubühne am Halleschen Tor eine Etage, aus der ein Theater werden soll. Woron mußte nur zugreifen. Nach zwei Wochen Bedenkzeit hat er sich entschlossen. 1990 kommen „Die Zimtläden“ nach Bruno Schulz heraus. Daß der in Regiedingen bis dahin gänzlich unerfahrene Woron gleich einen Erfolg landet, kann im Nachhinein nur erstauen. „Die Zimtläden waren eigentlich gar nicht so gut, aber sie hatten Charisma.“ Schon bei der Premiere war klar, dies wird ein völlig neues Theater. Die Autoren, deren Stücke hier auf die Bühne kommen, stammen fast immer aus Osteuropa, und Worons Inszenierungen stricken mit am Mythos vom pathetisch-sinnlichen Image des Landstriches Galizien etwa, wo nicht nur Glaube und Weihrauch in der Kirche eine große Rolle spielen, sondern auch die Menschen in dieser Atmosphäre engumschlungen halten. Nicht nur die osteuropäischen Themen, sondern auch auch die Formensprache überraschten die Zuschauer. Wieder und wieder auch mit der Nase. Die Zimtläden tragen den Geruch nicht nur im Titel. Der ganze Bühnenraum duftete, 400 kleine Säckchen verbreiteten den Zimt-Duft. „Was für Proust seinen Madeleine war, das ist für mich der Zimt-Geruch.“ Fünf Kilo Zimt hab er damals aus Polen geholt. In Berlin sei der zu teuer gewesen, schließlich wurde der Zimt in jeder Vorstellung großzügig verstäubt. Die Erinnerung an die Heimat und die Kindheit, die der Zimt auslöste, waren für Woron offensichtlich produktiv. „Es war eine Notwendigkeit, diese Sehnsucht zu bearbeiten. Als ich im Ausland lebte. In Polen würde ich dieses Theater nie machen. Aber ich komme aus der Provinz, ich kenne den Staub auf den Wegen, den Dreck in den Dörfern und die Sucht nach Alkohol ...“
Bislang schien Woron ein Markenzeichen zu haben: Visuelles Theater mit großen chorischen Szenen, aufwendige Bühnenbilder, die das ausgeblichene Holz alter Bahnschwellen direkt von masurischen Bahnhöfen zu verwenden schienen, und sinnliche Inszenierungen, die weder mit Musik noch mit Schminke sparten.
Bertolt Brecht setzte auf andere Effekte. Sein episches Theater sollte gerade in der Dreigroschenoper den Verfremdungseffekt etablieren und den Zuschauer bewegen, ohne ihm Illusionen zu machen. „Brecht ist in Deutschland ein Heiligtum“, sagt Woron, aber genau das habe ihn gereizt. Uneingeschränkt bewundere er die Musik der Dreigroschenoper, das Paar Weill/Brecht sei einfach genial. Aber die Thematik und auch die 1928 zum ersten Mal entwickelte Formensprache des sozialistischen Dichters habe einen Bezug zur eigenen Geschichte im Polen der 70er Jahre. War die Heimat für den Regisseur Ort der Sehnsucht, beginnt mit seiner Beschäftigung mit Brecht eine neue Ära. Das Stück sei auch eineKonfrontation mit der Vergangenheit. Wenn sich heute abend der Premieren Vorhang hebt, geschieht das schrittweise. Nach einem knallroten Stoff, der an das Fahnenmeer der sozialistischen Bruderländer erinnert, hebt sich bei Woron als zweiter der eiserne Vorhang.
Für Woron ändert sich mit der Bremer Premiere jedoch noch mehr. Nach den Jahren der Klausur am eigenen Theater in Berlin zieht er hinaus in die Welt.Woron wird bei Leander Haussmann in Bochum inszenieren, und zugeagt hat er auch die Uraufführung einer Oper beim Hollandfestival in Amsterdam. Grundbedingung: das Ensemble kommt aus Berlin - Theatr Kreatur . Susanne Raubold
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