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Alltag und Rassismus

■ Haftursache: falsche Hautfarbe. Info zu Migrantinnen im deutschen Knast

„Muy importante – sehr wichtig. Unterschreiben hier.“ Im Telegrammstil diktiert die Vollzugsbeamtin wie das Formular auszufüllen ist. Dann führen sie die Frau mit der ausgeleierten rosa Strickjacke in die Umkleidekabine. Heraus kommt eine elegante Dame in schwarzem Kostüm und hochhackigen Lackschuhen. So stand die Kolumbianerin Elvira Sanchez (Name geändert) 22 Monate zuvor am Flughafen Frankfurt/Main. Im Magen hatte sie mehrere Tüten mit Kokain, rund 3.000 Dollar sollte sie für den Schmuggel bekommen. Doch statt mit dem Geld zu ihren Kindern zurückzukehren, landete die ehemalige Marktverkäuferin im Knast. Da saßen schon fünfzig andere Kolumbianerinnen, die für die Drogenbosse die riskante Drecksarbeit gemacht hatten.

In der kriminellen Hierarchie, wissen die Vertreterinnen des Lateinamerika-Zentrums Berlin (LAZ), rangieren Frauen meist ganz unten. „Frauen ohne deutschen Paß in der Justizvollzugsanstalt Plötzensee“ hieß die Veranstaltung. Seit Jahren betreuen die LAZ-Frauen Migrantinnen in der Plötze. Was es bedeutet, in einem fremden Land hinter Gittern zu sitzen, dämmert vielen Frauen schon in der U-Haft.

Wer knappe Kommandos und krudes Beamtendeutsch nicht versteht, wer Personalbogen falsch ausfüllt und auf Fragen nicht korrekt antwortet, kommt meist so schnell nicht wieder frei. Mindestens 60 Mark kostet die Stunde eines staatlich vereidigten Dolmetschers, die Inhaftierten müssen ihn selbst bezahlen.

Der Ausländermalus hat Folgen. Rund die Hälfte der Frauen, die in der Plötze in U-Haft sitzen, sind keine Deutschen. Oft werden sie wegegen kleiner Delikte verdächtigt: Ladendiebstahl, Scheck- und Kreditkartenbetrug. Für schuldig befinden die Richter aber nur etwa jede zweite von ihnen, die Quote irrtümlich Inhaftierter ist deutlich höher als bei deutschen Frauen.

„Purer Rassismus“ sagen die LAZ-Frauen, kann manchmal schon zur Verhaftung führen. So wurde eine Afrikanerin in einem Berliner Schuhgeschäft aus heiterem Himmel von Polizeibeamten festgenommen. Erst später stellte sich heraus, daß im gleichen Laden eine Gruppe farbiger Männer Ärger wegen Scheckbetrugs hatte. Die Dame mit der ähnlichen Hautfarbe, die Stockwerk darüber Schuhe anprobierte, nahmen die Beamten vorsichtshalber auch gleich mit. Immer nach dem Motto: Sicher ist sicher. Vier Monate saß sie in U-Haft, bis man zugab, daß ihr beim besten Willen nichts nachzuweisen war. Schadenersatz pro Tag in Haft: vier Mark.

Daß nicht alle Inhaftierten Opfer fremder Machenschaften sind, wissen die Knastbetreuerinnen natürlich auch. Oft wird das Risiko bei Straftaten bewußt in Kauf genommen, die Frauen fühlen sich selbst verantwortlich für ihre Taten. Doch auf die Vollzugsrealitäten sind sie deshalb noch lange nicht vorbereitet. Und auf die Zeit danach noch weniger. Studienmöglichkeiten existieren nicht – von der Ausbildung zur Textilreinigerin abgesehen – Deutschstunden wurden zusammengekürzt, Computerkurse gibt es längst nicht mehr. Statt auf Resozialisation setzt die Justiz offenbar darauf, inhaftierte Ausländerinnen möglichst schnell loszuwerden. Constanze v. Bullion

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