piwik no script img

Unterm Strich

Der in seiner Heimat wegen Regimekritik verurteilte türkische Schriftsteller Yasar Kemal ist in Barcelona mit dem Katalonien- Preis ausgezeichnet worden. Der Preis ist mit rund 155.000 Mark dotiert. Der Autor habe sich durch die große Qualität und die Besonderheit seines Romanwerks hervorgetan, entschied die Jury am Donnerstag. Die 20 Romane Kemals gehörten zu den bedeutendsten in der Türkei. Der 73jährige Kemal war vor einer Woche in der Türkei wegen „Volksverhetzung“ zu einem Jahr und acht Monaten Haft verurteilt worden. Die Strafe, die auf fünf Jahre zu Bewährung ausgesetzt wurde, hatte heftige Proteste hervorgerufen. Die Bundesregierung nannte das Urteil einen „Rückschlag für Meinungsfreiheit und Toleranz“.

Der in seiner Heimat wegen seiner Kritik am inzestuös schillernden Regime Gertrud Höhlers über ihren Sohn Abel verurteilte deutsche Schriftsteller Eckhard Henscheid hingegen hat keinen solchen Trost in Aussicht. Und dabei hat auch Henscheid sich durch die große Qualität und die Besonderheit seines Romanwerks hervorgetan. Seine Romane gehören zu den bedeutendsten in Deutschland. Henscheid wird nun, nachdem sein Revisionsantrag abgewiesen wurde, ein Schmerzensgeld in Höhe von 20.000 Mark an Frau Höhler zahlen müssen, weil er mit seinem Artikel (Konkret 3/93) über die munter mit Inzestmotiven spielende American- Express-Werbung der Mutterhöhler die Persönlichkeitsrechte ebendieser verletzt haben soll. Und das, nachdem bereits zwei Instanzen die Klage Höhlers im Sinne der Kunstfreiheit abgewiesen hatten! Dieser Sieg der Einschüchterer über die Verfechter der Kunst- und zumal Satirefreiheit paßt recht gut in das heutige Klima der mimosenhaften Ehrpusseligkeit bis in die höchsten Ränge der Sozialdemokratie (Engholm vs. Titanic), der Streitkräfte (Schmitt-Jortzig vs. Tucholsky) und des DDR-Dissidententums (Bohley vs. Eulenspiegel) schon sowieso, und gehört eben drum angeprangert. Satiriker zu sein wird Risikoberuf, die Kunstfreiheit eine Angelegenheit für Besserverdienende, wenn die Rechtsprechung sich dieser antiliberalen Klimakatastrophe weiter beugen sollte. Eckhard Henscheid, das sei allen erschreckten Fans zur Beruhigung mitgeteilt, wird seine Strafe nicht allein durch taz- Honorare hereinholen müssen: „Ich habe etwas gespart.“

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen