piwik no script img

In Iran ist eine Stichwahl nötig

■ Rafsandschani und seine Technokraten konnten keine klare Mehrheit bei den Parlamentswahlen erreichen

Teheran (taz) – „Wie die Mehrheiten im iranischen Parlament verteilt sind, wird sich erst in den ersten Abstimmungen zeigen“, meint ein Beobachter in Teheran nach dem Bekanntwerden der Endergebnisse. Sechs Tage nach den Wahlen zum fünften Parlament der Islamischen Republik gab am Donnerstag abend der iranische Innenminister Reza Tabesch das amtliche Ergebnis bekannt. Doch dank des unübersichtlichen iranischen Wahlsystems kann sich nun jede Fraktion ihren eigenen Reim darauf machen. Die Wahlbeteiligung lag offiziellen Angaben zufolge bei rund 78 Prozent.

Fest steht: Von den 3.232 KandidatInnen für die 270 Parlamentssitze haben 139 die erforderliche Zweidrittelmehrheit im ersten Wahlgang erreicht. Über die verbliebenen 131 Abgeordnetensitze sollen die über 30 Millionen Stimmberechtigten am 19. April entscheiden. Mitte Mai kann das Parlament dann seine Arbeit aufnehmen.

Die Wahl war als Machtkampf konservativer Kleriker der „Kämpferischen Geistlichkeit“ und der moderaten sogenannten Technokratenliste „G-6“ gewertet worden. Erstere stehen dem geistlichen Führer der Islamischen Republik, Ali Chamenei, nahe, letztere Staatspräsident Ali Akbar Haschemi Rafsandschani.

In Teheran sollen 18 der 30 für KandidatInnen aus der Hauptstadt reservierte Sitze an „Technokraten“ oder mit ihnen sympathisierende Unabhängige gegangen sein. Prominenteste Vertreterin dieser Linie ist die Präsidententochter Faizeh Rafsandschani. Sie erlangte nach dem konservativen Parlamentssprecher und Kontrahenten ihres Vaters die zweitmeisten Stimmen.

Konservative Wahlbeobachter behaupten allerdings, daß die Mehrheit der „Technokraten“ in Teheran keineswegs gesichert sei. Um den Eindruck der Spaltung der ehemaligen islamischen Revolutionäre zu vermeiden, waren kurz vor der Wahl zehn KandidatInnen der Konservativen zusätzlich auf die Liste der „G-6“ gesetzt worden.

Ähnlich unübersichtlich ist die Lage außerhalb Teherans. Konservative Wahlanalytiker sprechen zwar von einer 60prozentigen Mehrheit ihrer KandidatInnen. Doch ist auf dem Land die Zahl der unabhängigen KandidatInnen weit größer als in den Städten. In der zurückliegenden Legislaturperiode setzten sie sich zumeist für die Interessen ihres Wahlkreises ein und nicht für aus Teheran vorgegebene politische Leitlinien. Trotz dieser Unklarheiten gilt es jedoch als sicher, daß sich Präsident Rafsandschani in Zukunft im Parlament auf wechselnde Mehrheiten stützen muß. Thomas Dreger

Siehe Seiten 10 und 11

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen