Umlandkooperation – „Das ist von vorne bis hinten gescheitert“

■ Was eine Stadt davon hat, nicht selbständig zu sein. Ein Interview mit dem Frankfurter Stadtkämmerer Tom Koenigs.

Oh Herr, die Not ist groß! Bremen steckt so tief im Sumpf der Finanz- und Wirtschaftskrise, daß gut zwei Drittel der BremerInnen die Selbständigkeit lieber dreingeben wollen. Ex-Bildungsssenator Horst-Werner Franke hat die Stimmung in der Stadt offensichtlich ziemlich genau getroffen, als er im Januar in der taz die Debatte über Sinn und Unsinn der Selbständigkeit vom Zaun brach. Die Frage liegt auf der Hand, ob sich der Status als Bundesland für das kleine Gemeinwesen noch lohnt. So ganz wollen die ExponentInnen der Diskussion diesen Status noch nicht aufgeben, aber eines kristallisiert sich als Lösungsweg heraus: Bremen muß voll auf die Kooperation mit dem Umland setzen.

Um einen realistischen Blick auf die Chancen dieser Überlegung zu bekommen, lohnt es sich, über die Landesgrenzen hinauszublicken. Keine Großstadt, die nicht mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hätte, wie Bremen. Zum Beispiel Frankfurt: rund 600.000 EinwohnerInnen, eine prosperierende Stadt in einer ökonomisch stabilen Region, ein Schuldenberg von 6,7 Milliarden Mark. Die taz redete mit dem Frankfurter Stadtkämmerer Tom Koenigs (Grüne) über Freud und Leid einer Großstadt, die ihre Selbständigkeit schon vor 130 Jahren abgegeben hat.

taz: Was hat Frankfurt davon, daß die Stadt nicht selbständig ist

Tom Koenigs, Kämmerer der Stadt Frankfurt: Das Speckgürtelphänomen ist hier genauso und eher noch akzentuierter als in Bremen. Wir haben genauso viele Einwohner wie Arbeitsplätze. Das heißt, die Hälfte derer, die hier arbeiten, fahren unter Tags hin und abends wieder raus. Das sind 300.000 Pendler. Die verdienen hier in Frankfurt relativ gut, wohnen aber in den Nachbarkreisen. Wir haben rund um Frankfurt eine einzige kreisfreie Nachbarstadt, die ist arm.

Offenbach.

Genau. Aber rundum sind die Kreise reich. Extrem reich, allesamt reicher als Lafontaine mit seinem Saarland. Und diese Nachbarstädte preisen inzwischen das Frankfurter Kulturangebot, die Frankfurter Schwimmbäder und die Infrastruktur. Man ist schnell von der Nachbarschaft in der Stadt und kann das ganze Kulturangebot wahrnehmen. Sie selbst haben hohe Einkommenssteueranteile, sind in diesen Einkommenssteueranteilen noch nicht mal durch die deutsche Einheit belastet, weil die auf der Gewerbesteuer liegt. Und wir verarmen zunehmend.

Frankfurt ist die reichste Kommune in der Republik.

Verarmen ist vielleicht mißverständlich, weil wir natürlich einen hohen Gewerbesteueranteil haben. Wir haben aber riesige Kosten der Zentralität, vor allem im Sozialbereich. Die Sozialhilfeabhängigen kommen nach Frankfurt, weil es in einer Großstadt immer noch einfacher ist zu leben, wenn man Wohngeld bezahlt kriegt. Und diejenigen, die gut verdient haben, ziehen gerne ins Grüne, in die Nachbarstädtchen, wo es so schön gemütlich ist.

Offenbach saniert sich auf Kosten von Frankfurt ...

...so ist das auch nicht ganz...

...mit dem Hinweis des Oberbürgermeisters, die Leute sollen doch in die Frankfurter Schwimmbäder fahren, wir machen unsere zu...

...das gilt nur für die Schwimmbäder.

Die Umlandgemeinden können im Speckgürtel ordentlich leben. Und dann geht das Gezerre um den länderinternen Finanzausgleich los. Wie stark ist denn da die Stellung von Frankfurt?

Im Land haben wir natürlich eine schwache Stellung. Wir haben ein paar Abgeordnete. Die Kreise rundrum haben aber immer mehr Abgeordnete als wir. Die Stadt Frankfurt, aber auch die kreisfreien Städte insgesamt, haben weder im deutschen oder im hessischen Städtetag, noch in den Landtagsfraktionen besonders viel zu sagen. Das gilt einschließlich der Grünen-Fraktion. Ein kommunaler Finanzausgleich, der die ungeliebte Zentrale, noch dazu Frankfurt, irgendwie begünstigen würde, der hat überhaupt keine Chance.

Es gibt eine Untersuchung vom Institut für europäische Ethnologie in Frankfurt. Die haben mit einer Umfrage festzustellen versucht, was eigentlich das Verbindende der Rhein-Main-Region ist – immerhin zweieinhalb Millionen Einwohner und eine riesigen Wirtschaftskraft, das ist ja einer der dynamischsten Wirtschaftsräume. Die einzelnen Gemeinden sind alle superverschieden, aber es gibt nur eines, was sie alle verbindet: Sie sind nicht Frankfurt!

Auf dieser Grundstimmung eine Mehrheit im Landtag zu finden, die dafür stimmt, daß man die Wirtschaftskraft der Zentrale aufrechterhält, das ist natürlich völlig unmöglich. Und dadurch ist die Hoffnung auf den Landesgesetzgeber relativ schwach.

Die Finanzmisere ist ja dadurch noch nicht erledigt, daß man ein Teil des schönen und relativ reichen Hessenlandes ist. Denn: Eingemeinden kann man das Umland auch nicht.

Warum?

Sowieso aus historischen Gründen. Das wird in Bremen ähnlich sein. Die SPD in Hessen hat mal mit der Gebietsreform was versucht. Die hat Gießen und Wetzlar zusammengelegt in einer Stadt Lahn, in der aber niemand wohnte, weil alle weiter in Gießen und Wetzlar gewohnt haben. Da haben sie die Mehrheit ein beiden Städten verloren. Das war ein solcher Zusammenbruch, da haben sie die Sache ganz schnell wieder rückgängig gemacht. Sowas wird man nie wieder machen.

Frankfurt hatte immer eine enge Stadtmauer. Da gab es ein paar Dörfer rundrum, einschließlich Höchst, die sind eingemeindet worden. Aber über den Kernbereich ist man nicht rausgekommen und wird man nicht rauskommen. Wir haben mit Kronberg im Taunus vor 500 Jahren einen Krieg geführt – den haben wir verloren. Wir würden den auch diesmal wieder verlieren. Es war auch noch ganz witzig, wie der ausgegangen ist. Auf den Schlachtfeldern haben sich ein paar Söldner die Köppe eingeschlagen, dann haben sie rund 20 Frankfurter Bürger gefangengenommen. Die haben sie wohlweislich nicht totgeschlagen. Dann mußte die Stadtverordnetenversammlung diese Geiseln für viel Geld auslösen. Die haben also nur Geld gewollt, die Ritter von Kronberg.

Die Struktur ist also kaum anders als in Bremen. Bremen muß beim Bund betteln gehen, und Frankfurt beim Land.

Fast dasselbe. Bremen hat seine Senatoren, die haben wir nicht. Wir sind nur bescheidene Stadträte. Wir kriegen auch etwas weniger. Wir werden nach B8 bezahlt, die Senatoren nach B11

Nun gilt aber für beide Städte, daß sie eigentlich auf Umlandkooperation angewiesen sind. Wenn man den Speckgürtel nicht mal im Krieg schlagen kann, dann muß man mit ihm verhandeln. Funktioniert die Umland-Kooperation eigentlich in Frankfurt?

Wir haben versucht, mit dem Umlamndverband eine Gebietskörperschaft zu schaffen. Das ist eigentlich von vorne bis hinten gescheitert. An einem einzigen Punkt ist es gelungen: Die Flächennutzungsplanung ist gemeinsam gemacht worden, und das ist auch sinnvoll.

Und die S-Bahn fährt überallhin.

Aber die wird in weiten Teilen von Frankfurt finanziert. Wir haben zwar jetzt einen Rhein-Main-Verkehrsverbund geschaffen, aber ursprünglich haben wir diese Infrastruktur geliefert. Wir sind dabei, die Finanzierung nun ein bißchen zu verändern. Aber auf den anderen Feldern sind wir keinen Schritt weitergekommen. Im Gegenteil: Es hat sich herausgestellt, daß der Umlandverband eher eine Lobbygruppe gegen die Stadt Frankfurt war. Obwohl wir den zu 45 Prozent bezahlt haben, hat der immer mit 65 Prozent gegen Frankfurt gestimmt.

Man kann Einzelkooperationen machen – auf der Ebene von Zweckverbänden oder gemeinsamen GmbHs für bestimmte wohldefinierte Zwecke mit einem wohldefinierten Teilnehmerkreis. Man könnte den Flughafen oder Mülldeponien oder Kläranlagen gemeinsam betreiben, aber immer nur so, daß diejenigen, die etwas davon haben, die Angelegenheit auch anteilig finanzieren.

Jenseits der historischen Trennungen und den Machtverhältnisse auf der Landesebene – woran scheitern solche Kooperationen?

Die Bundesgesetzgebung gibt einem Verband eine Einnahmeverantwortung. Der Umlandverband legt seine Kosten um und zwingt uns zu bezahlen. Er ist selber nicht dafür verantwortlich, Einnahmen zu produzieren, auch keine Steuereinnahmen. Man müßte eine Gebietskörperschaft schaffen, die eigene Einnahmen hat.

Ein starker Rhein-Main-Verband würde daran scheitern, daß der Bürgermeister oder Landrat natürlich viel mehr zu sagen hat, als der Ministerpräsident. Hier unten passiert die Hälfte der Wertschöpfung des Landes. Dann würde man sich sofort fragen, wofür wir eigentlich einen Ministerpräsidenten brauchen.

Die Umlandgemeinden haben kein Interesse an einem Umlandverband, und das Land auch nicht, weil beide was abgeben müßten. Die einen Geld, die anderen Macht.

Beide müßten sicher was abgeben. Andererseits, und da spreche ich als Grüner: Wenn man die Vielfältigkeit unserer städtischen Struktur und auch den sozialen Zusammenhalt halten will, wenn man das als Prinzip der europäischen Gesellschaft im Unterschied zu den USA beibehalten will, dann müssen die Kernstädte der Regionen auch finanziell überleben können. Das ist meines Erachtens Aufgabe des Landes. Und das müßte sich schon gegenüber den Umlandbürgermeistern mit unpopulären Maßnahmen durchsetzen lassen.

Was machen Sie nun mit Ihren leeren Kassen?

Das Land ist auch zuständig für die Genehmigung des städtischen Haushaltes. Und wir weisen ganz konkret einen strukturellen Konsolidierungsbedarf von jährlich 200 Millionen aus. Meines Erachtens muß das Land den kommunalen Finanzausgleich so umstrukturieren, daß der sich an den jeweiligen Notwendigkeiten orientiert und nicht an den Besitzständen. Bei einem integrierten Bremen in Niedersachsen – was ich mir ehrlich gesagt nur schwer vorstellen kann – käme sofort auf Herrn, vielleicht dann Frau, Schröder die Aufgabe zu, von der Gemeinschaft des Landes einen relevanten Teil für den Finanzausgleich für die Stadt Bremen abzuzweigen. Ich kann mir schwer vorstellen, daß das erfolgreicher ist, als beim Bundesverfassungsgericht zu klagen und ein paar Milliarden einzuziehen.

Fragen: Jochen Grabler